Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)
GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel
410 Ernst Joseph Görlich gung fände. Das tue er mir als altem Kalksburger. Aber es gefalle ihm ganz und gar nicht, daß ich der .katholischen Regierung“, die Tag und Nacht arbeite, sich alle Mühe gebe, mit größtem Mißtrauen begegne, dagegen mich an H. wende, der vor dem Bankrott stehe. Ich bezeichnete dies als Gewissenspflicht und es sei doch fraglich, ob das Regime H. nicht doch fest sitze. Ich begründe kurz die Möglichkeit, vielleicht doch auf H. einwirken zu können. Ich schildere den Verlauf der Beschlagnahme (Vorlage am 11. bei der Zensur, Druck am 12., Beschlagnahme am 13.). Am 18. Oktober vormittags Polizeidirektion (bei Dr. Seidel). Er will nicht zugeben, daß der Brief gelesen worden sei. (43) Winters Vortrag. 5. I. 1938 Winters Vortrag Leo-Gesellschaft über den sozialen Katho- liszismus in USA. Sagte aber nichts über den sozialen Katholizismus, sondern redete in der Hauptsache über die Stellung des Katholizismus, seine Bedeutung, seinen Einfluß auf das öffentliche Leben der USA. Neben Puritanismus und Quäkertum sei der katholische Einfluß seit der Kolonisation groß (vom Judeneinfluß redete er gar nichts), führt als Beispiel dafür 2 Denkmäler und die äußerliche Ehrerbietung offizieller Funktionäre an. Spricht sehr für den ,Progressismus“ gegenüber dem .Provinzialismus“, Roosevelt verstehe beiden seine Maximen verständlich zu machen. Von den 130 Millionen stünden 20 Millionen gut organisierter Katholiken 35 Millionen in 200 Sekten zersplitterten organisierten Protestanten gegenüber, von denen die größten die Methodisten und die Baptisten mit je 8 Millionen seien. Große Toleranz, so daß die dogmatischen Unterschiede verblassen und fast nur mehr die liturgisch-kultischen empfunden würden: eine große Gefahr für den Katholizismus. Fast in jedem Staat 1 oder 2 katholische Universitäten (oder Colleges), allerdings nicht europäischen Niveaus. x/2 Million Kolumbus-Ritter. Winter tadelt, daß sie die Parole des Ku-Klux-Klan gegen Juden, Neger und Katholiken umänderten, zur ihren machten: gegen Juden, Neger und Kommunisten. Das sei Kommunismusphobie. Auch für die Juden spricht er warm, besonders vom italienisch-jüdischen Bürgermeister von New York, La Guardia, der dem Katholizismus sehr freundlich sei! Er führt Mitarbeiter von Roosevelt an, der keine Gelegenheit versäume, dem Katholizismus seine Reverenz zu bezeugen, und in der Demokratenpartei, die Katholiken seien, und den (einzigen!) katholischen Gouvernor Mörfy (Murphy?) von Michigan. Er erwähnt Konferenzen der Christen und Juden unter Roosevelts Vorsitz. Roosevelts New Deal habe weitgehend Parallelismen und Analogien zum sozialen Katholizismus : Konstitutionalisierung der Industrie. Sehr scharf gegen Nationalsozialismus. Scheimpflug 38) ergeht sich in überschwänglichem Lob für die „hohe Wissenschaftlichkeit“ des Vortrages „unseres lieben Freundes Winter“. Der erste Diskussionsredner, ein vor 2 Wochen nach 14jährigem Aufenthalt in USA zurückgekehrter Diplomkaufmann wendet sich scharf gegen Winters Schönfärberei. USA sei ein Freimaurerstaat, alle von Winter gelobten Größen seien Freimaurer, die freilich den Katholiken schmeicheln, weil sie ihre Stimmen bei den Wahlen brauchen. „Nennen Sie mir einen einzigen maßgebenden Posten, auf dem ein Katholik steht.“ Präsident könne nur ein Maurer werden. Sie arbeiten mit Masken. — Ein zweiter Diskussionsredner verteidigt warm die Maurer. In Amerika nehme die kirchliche Hierarchie nicht gegen sie 38) Dr. Karl Scheimpflug, Sektionsrat i. R., gest. 1944, letzter Überlebender der engsten Mitarbeiter Vogelsangs, langjähriger Leiter der sozial wissenschaftlichen Sektion der österreichischen Leo-Gesellschaft.