Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)

SEIDE, Gernot: Wiener Akten zur polnisch-revolutionären Bewegung in Galizien und Krakau 1832–1845

Polnisch-revolutionäre Bewegung 1832—1845 309 schuldigten sich später damit, daß derartige Lieder „oft auf öffentlichen Plätzen gesungen werden“. Eine Schülergruppe, die vom Stadtorchester in Tarnopol die „Komposition“ polnischer Revolutionslieder verlangt hatte, erhielt dafür acht Tage Arrest63). Im Gymnasium von Sambor hatten sich die Schüler nicht mit musikalischen Demonstrationen begnügt, sondern „unter dem Volk mündlich demokratische Ideen verbreitet“, den Sturz der Regierung und die Wiederherstellung Polens in den alten Grenzen gefordert sowie Schriften revolutionären Inhalts verteilt. Insgesamt wur­den neun Schüler verhaftet und verurteilt64). Selbst im fernen Wien hielten mehrere Studentengruppen an der Idee eines unabhängigen Polen fest. Die römisch-katholischen Studenten am Wiener Stadtkonvikt und die Studenten der Wiener Ingenieurakade­mie warben unter ihren Kollegen Anhänger zur Revolutionierung Gali­ziens, um von dort eine allgemeine Revolution zu entfachen, die die Wiederherstellung Polens anstrebte. Ein geeignetes Mittel hierzu schien ihnen die Ausbildung und Pflege der polnischen Sprache und Literatur so­wie die Aufrechterhaltung des „polnischen Nationalgeistes“ zu sein. Die­selben Ziele verfolgte übrigens auch der Wiener Polen- und Slavenverein. Dem Slavenverein war es zum Beispiel gelungen, verschiedene Wiener Kaffeehäuser zu veranlassen, „böhmische Zeitungen“ zu abonnieren 65). Besonders rege waren die Schüler- und Studentengruppen im Frei­staat Krakau tätig. Sie unterhielten Kontakte zu Gruppen im Ausland und zu den galizischen Gutsbesitzern. Viele dieser Studenten gehörten dem „Verein des polnischen Volkes“ und der „Allgemeinen Konfödera­tion des polnischen Volkes“ (gelegentlich in den Akten auch als „Allge­meine Konföderation der polnischen Nation“) an. Die Krakauer Studen­tengruppe hatte den Philosophieprofessor Ehrenberg gebeten, seine latei­nisch vorgetragene Vorlesung in einem kleinen Privatzirkel noch einmal polnisch zu lesen, was im Wintersemester 1835/36 auch geschah. Bei dieser Veranstaltung flocht Ehrenberg dann revolutionäre Ansichten in die Vorlesung ein und diskutierte Möglichkeiten der Wiedererrichtung Po­lens. Ferner wurde von Kollegen Ehrenbergs in Privatzirkeln in den Fä­chern Geometrie, Geodäsie und topographisches Zeichnen Vorlesungen ab­gehalten. Zahlreiche Studenten hatten sich für diese Veranstaltungen ge­winnen lassen, da man ihnen erzählt hatte, daß in Polen eine Revolution unmittelbar bevorstehe und man später junge Leute mit Kenntnissen in diesen Fachrichtungen dringend brauchen werde. Über Emissäre und Flüchtlinge korrespondierten die Studenten mit den Emigrantenorganisa­tionen in Frankreich, Belgien und der Schweiz. Auch panslawistische Ideen tauchten gelegentlich in diesen Zirkeln auf. So wollte man „alle slawi­63) Bericht Stiebers (wie Anm. 36). 64) Ebenda. 65) Ebenda.

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