Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

MARKOV, Walter: Die illyrische Paradoxie

594 Walter Markov Linharts Aufklärung zu Preserns Vormärzromantik, öffnet er den Tür­spalt zu einem geschichtlichen Schauraum, in dem der Motor der nationa­len Idee, mit all ihren Vorzügen und Schattenseiten, nicht mehr zum Stillstand kommen wird. Diesem eine neue Fortschrittstradition begrün­denden Elan, nicht ihren beiläufigen Pegasusritten, verdanken die Lai­bacher Illyrier die Achtung, die sie sich bis hin zu Ivan Cankar und einer von durchaus anderen gesellschaftlichen Kräften und Auffassungen be­stimmten Gegenwart bewahrten. Die Paradoxien machen hier nicht halt. Hat das napoleonische Illyrien als irreversibler Beschleuniger der slowenischen Nationwerdung gewirkt, so vermißt man einen vergleichbaren Effekt auf Kroaten und Serben. Eine ursprüngliche Vorstellung, allen Südslawen der sieben Provinzen ein vereinheitlichtes Kroatisch nahezubringen, redeten dem auf seine dalma­tinischen Erfahrungen pochenden Marmont nicht zuletzt slowenische „Illyrier“ aus. Der zeitliche Vorsprung der illyrisch engagierten sloweni­schen Emanzipatoren bei der „Wiedergeburt“ (dem „preporod“) ihrer Nationalkultur stemmte sich der südslawischen Einheitssuche der zwei­ten Generation, dem diesmal kroatischen „Illyrismus“ eines Ljudevit Gaj in Zagreb, der aus gänzlich verschiedenen Quellen floß, direkt entgegen: 1835 war nicht mehr einschmelzbar, was sich 1811 „erhoben“ hatte und zum Festkörper geronnen war lä). Doch möchte man einem Mißverständnis Vorbeugen. Elemente der Nationwerdung hatten sich unter den Südslawen seit dem sporadischen Aufkommen einer überlegenen kapitalistischen Produktionsweise in feu­daler Umwelt während des theresianischen Zeitalters materiali längst angereichert. Im jansenistischen und sodann im josefinischen Rationalis­mus, zuletzt noch — vereinzelt — in cum grano salis jakobinischen Manifestationen fand dieser Prozeß eines beginnenden Übergangs sein theoretisches Äquivalent. Die Weichen waren gestellt, als eine Konfron­tation alter und neuer Sozialstrukturen von kontinentalen Ausmaßen den regionalen Klassenkonflikt von 1789 internationalisierte und seine letzten Funken aus der Seinemetropole ins napoleonische Illyrien wehte. Der originelle Versuch seiner freien Übertragung auf die bei weitem rückständigeren slowenischen Verhältnisse schob die Problematik einer bis dahin stilbruchlosen Evolution auf ein nunmehr unentrinnbar politi­sches Kraftfeld nationaler Bewußtseinsbildung. * 12 Provinces lllyriennes. Illyrisme et sentiment yougoslave in Le Monde slave n. s. 10/2 (1933) 39—71, 161—185, 358—375; dsbe Les Provinces lllyriennes de Napoléon in Questions actuelles du socialisme 35 (März-April 1956) 101—-119. 12) Vgl. über kroatischen „Illyrismus“ zu den bekannten Arbeiten von Ferdo äisic, Rudolf Bicanic, Stjepan Antoljak, Vaso Bogdanov, Antun Barac und Jaroslav Sidak neuerdings I. I. Lescilovskaj a Ilirizm. K istorii chorvats- kogo nacional’nogo Vozrozdenija (Moskau 1969).

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