Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

NECK, Rudolf: Von den Kategorien der historischen Vernunft

524 Rudolf Neck schichte Subjekt und Objekt eins ist; andernfalls wäre jede vernunftmäßi­ge Befassung mit dem Gegenstand unmöglich. Für die moderne Philosophie ist jedoch die Kategorie des Verstehens uneinheitlich und schillernd geworden 39). Für sie gibt es historische Be­griffe, die unabhängig von der historischen Wirklichkeit existieren. Mit Recht hat man darauf hingewiesen, daß die Fragestellung falsch oder richtig für den Historiker nicht ganz dem kategóriáién Begriff „wahr“ ent­spricht 40). Er muß sich bescheiden damit abfinden, daß auch ihm die „ganze Wahrheit“ verborgen bleibt. Schließlich sucht die westliche Philo­sophie die Weisheit, während das Ziel der östlichen die Wirklichkeit ist 41). Die Geschichte ist daher, wenn man von ihrer Grundaufgabe der fak­tischen Feststellung und den damit zusammenhängenden Problemen ab­sieht, eine reflexive Wissenschaft zwischen objektivem Bemühen und subjektiver Darstellung 42). Gefährlich wird es, wenn der Historiker auch im Vergeblichen und Entsetzlichen, im Glück wie im Unglück, den Sinn der Geschichte sucht 43). Hier läuft er Gefahr, jener Tendenz zu erliegen, die ein großer Zyniker unseres Jahrhunderts die Sinngebung des Sinnlo­sen genannt hat. Der Historiker hat die Aufgabe, aus der Gegenwart her Zusammen­hänge herzustellen. Nach Simmel arbeitet er immer daran, äußerlich zeit­lich Getrenntes aber sinnhaft Zusammengehöriges zu verbinden44 45). Der Windelband-Rickertsche Kreis hat damit den Weg zu neuen kategóriáién Formungen gewiesen. Mit der Festlegung des Kausalitätsprinzips gegen das Kausalgesetz wurden neue Kategorien an den Stoff herangetragen, nicht ihm entnommen. Gleichzeitig ging man an die Erstellung einer neuen geschichtlichen Typenlehre von Bewegung und Struktur, man arbeitete wieder mehr mit Vergleichen und Analogien. Nachdem die Kausalität in der modernen Naturwissenschaft problematisch geworden ist und der Determinismus alter Prägung verformt wird, hat man auch im Bereich des Historischen mehr Beachtung der statistischen Gesetzmäßigkeit zuge­wendet 46). Damit bietet die Geschichte auch weiterhin keine allgemein 39) Ludwig Wittgenstein Philosophische Untersuchungen (Berlin 1971) 531 ff. 40) Reinhard W i 11 r a m Das Interesse an der Geschichte (Göttingen 1958) 25 ff. 41) William S. H a a s The Destinity of the Mind (London 1956). 42) Eugene T. G a d o 1 Reflexivity in History in Akten des XIV. Inter­nationalen Kongresses für Philosophie in Wien 1968 2 (Wien 1968) 71 ff. 43) Wolfram von den Steinen Geschichte als Lebenselement (Bern 1969) 24 und 43. 44) Fritz Kaufmann Geschichtsphilosophie der Gegenwart (Berlin 1931) 45. 45) Werner Heisenberg Das Naturbild der heutigen Physik (Hamburg 1955) 24ff; vgl. Alexander Kompanejcz Quantenspiel der Gedankenfreiheit in Bild der Wissenschaft 9 (1972) IX, 912 ff.

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