Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

DIRNBERGER, Franz: Paul Kornfelds Tragödie „Himmel und Hölle“ als Opfer der Zensur

434 Franz Dirnberger Die Bevölkerung dieser Zeit war gewiß leicht erregbar. Es gab den Theaterskandal der „Helden“ von Bernhard Shaw im Juni 1921 im Schön­brunner Schloß theater42 43), wo das Stück wegen des massiven Protestes bulgarischer Volksgruppen vom Spielplan abgesetzt werden mußte. Die Verhandlungen um die letzte Verlängerung des Aufführungstermines für „Himmel und Hölle“ lagen kurz davor. Viel besser geeignet erscheint jedoch — auch inhaltlich — ein Vergleich mit Schnitzlers „Reigen“, dessen skandalumwitterte Aufführungen im Deutschen Volkstheater am Beginn der Direktionszeit Wildgans’ und somit vor den besagten Verhandlungen liegen. Die Zeitungen beschäftigten sich wochenlang mit dem „Reigen“, und dieser wurde sogar Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage, in der das Diktat der Klerikalen als treibende Kraft für das Verbot des Stückes angeprangert wurde4S *). Die Deutschnationalen waren strikte Gegner des „Reigens“: Wegen der „Schädigung des guten Rufes, den Wien heute noch als Kunststadt in der Welt genießt“, protestierten die „an­ständig gebliebenen Wiener und Wienerinnen“ gegen das Stück44). Auf der anderen Seite scheinen die Sozialdemokraten die Aufführung befür­wortet zu haben 45). Was Wildgans zu seinem Gesinnungswandel bewog, bleibt also eine ungelöste Frage, — soferne man nicht unterstellt, er habe aus den Ereig­nissen um die „Helden“-Aufführung die Konsequenzen gezogen. Der In­halt dieses zweiten 40) Dramas von Paul Kornfeld ist gewiß nicht erbau­lich, sein literarischer Wert jedoch beachtlich, — nicht nur, weil Hermann Bahr diese Meinung verfochten hatte. Im literarischen Himmel erscheint Kornfeld zusammen mit Kafka und Werfel als Dreigestirn47); ein der­artiges Werturteil entsteht wohl nicht durch Zufall. Auf anderen Bühnen wurde er gefeiert, nur die Wiener Theaterwelt blieb ihm verschlossen. War es Konkurrenzangst, die ihn aussperrte? 42) vgi. Zitat in Anm. 26. Wildgans konnte seinen Standpunkt bei der Staatstheaterverwaltung nicht durchsetzen. 43) Deutsche Tageszeitung 1921 Februar 12. 44) Deutsche Tageszeitung 1921 Februar 18. 45) Vgl. Abendblatt zur Arbeiterzeitung 1921 Februar 11 und April 29. 43) Sein erstes Werk, „Die Verführung“, welches er 1916 dem Hofburg­theater zur Lektüre zugeschickt hatte, war abgelehnt worden, obwohl es in­haltlich vom Dramaturgen des Theaters gerühmt wurde und der „gewiß noch sehr junge Autor nicht ohne Begabung ist, daß er Temperament und etwas zu sagen hat“: Bgth. Nr. 181 Manuskript journal von 1916 Juli 27. 47) Vgl. Paulsen (wie Anm. 9).

Next

/
Thumbnails
Contents