Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

SCHMID, Georg E.: Die Coolidge-Mission in Österreich 1919. Zur Österreichpolitik der USA während der Pariser Friedenskonferenz

436 Georg E. Schmid Lansing ein Memorandum, in dem er den Wechsel der US-Politik gegen­über Österreich-Ungarn von „policy A“ auf „policy B“ verlangte 9). Dieser Wechsel konnte dann Wilson gegenüber umso leichter durchgesetzt wer­den, als zu eben jener Zeit Kaiser Karls „Canossagang“ nach Spa bekannt wurde 10 * 12). Durch die eben kurz skizzierte Entwicklung war aber auch ein großer Teil der Inquiry-Memoranden wenigstens teilweise hinfällig geworden, da in ihnen das Auseinanderbrechen Österreich-Ungarns nicht einmal als Möglichkeit in Betracht gezogen worden war. Obgleich natürlich die zusammengetragenen Daten nichts an Informationswert eingebüßt hatten, waren die daraus gezogenen politischen Folgerungen überholt, was ande­rerseits einige Memoranden durchaus fragwürdig erscheinen ließ. Diese Situation wurde zusätzlich erschwert durch die sich laufend und radikal verändernden politischen Zustände in den Gebieten der Habsburgermonar­chie, deren Existenz sich im Laufe des Herbstes 1918 immer mehr zu einer bloß theoretischen entwickelte. Diese Entwicklungen zu kennen, würde auf der Konferenz wichtig sein, und die bisherige Arbeit der Inquiry trug ihnen im Grunde keine Rechnung. Somit konnte der Plan entstehen, zu­sätzliche Informationen durch sogenannte „Field Missions“ einzuholen, die einerseits die Inquiry-Memoranden korrigieren, zum anderen die US- Führungsspitze über die politischen Entwicklungen in den neu sich bil­denden Nationalstaaten Mittel- und Ostmitteleuropas aus erster Hand präzise informieren könnten. Welche Bedeutung man in Washington die­sen Informationen beimaß, geht bereits aus der bloßen Anzahl dieser Missionen hervorn). Ihre Entsendung erfolgte nicht nach einem fixen Schema, sondern jeweils nach Maßgabe der Notwendigkeiten; grundsätz­lich traf jedoch auf alle Field Missions zu, daß ihnen nur US-Staatsbürger angehörten — meist handelte es sich um Diplomaten und Militärs, aber häufig auch um Wissenschaftler —, und daß zwischen diesen Missionen und irgendwelchen interalliierten Stellen kaum Verbindungen bestan­den ,2). 9) Unter „policy A“ verstand Lansing das Streben nach einem Sonderfrieden mit Österreich-Ungarn, „policy B“ bedeutete die Begünstigung der nationalen Aspirationen: FR The Lansing Papers (2 Bde, Washington, D. C. 1939—1940) 2, 126 ff. 10) M a m a t e y US and East Central Europe 256. u) Unter anderem handelt es sich bei diesen „Field Missions“ um die Missionen Dresel, Dyar und Field (Deutschland, Sitz der Missionen war zumeist Berlin, Field hielt sich aber vornehmlich in München auf); Greene (baltische Staaten); Halstead (Österreich, er ersetzte A. C. Coolidge); Harbord (Armenien); Morgenthau (Polen); etc. 12) Es ist auffallend, daß diesen Missionen und ihrem indirekten Einfluß auf die eigentliche Konferenz und im besonderen auf Wilsons Haltung bisher relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Es wurde auch nur ein kleiner Teil der Berichte der Missionen in der offiziellen US-Dokumenten- publikation abgedruckt: Bde 2 und 12 der PPC-Serie.

Next

/
Thumbnails
Contents