Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

MIKOLETZKY, Lorenz: Der Versuch einer Steuer- und Urbarialregulierung unter Kaiser Joseph II

314 Lorenz Mikoletzky Stadtbürger, der zahlreichen Freiheiten der Geistlichkeit ganz zu schwei­gen. In Mähren kamen 380.000 Gulden auf die Gutsbesitzer und 1,150.000 Gulden auf ihre Untertanen9). Trotz den mariatheresianischen Reformen waren die Ursachen der Übel auch unter Joseph noch immer dieselben: die veraltete Finanzverwaltung und die Unrechtmäßigkeit der Grundsätze, auf denen die Steuern beruhten. Wie haben wir uns die Lage der Finanzverwaltung bis 1780 vorzu­stellen? Sie lag teils bei den Regierungsorganen, teils bei den Ständen. Das Ministerium in Wien stellte den Umfang, die Bevölkerungszahl und den Vermögensstand jeder einzelnen der erbländischen Provinzen fest und forderte bei der jeweiligen Landtagseröffnung die für die Staats­kasse nötige Summe, die Kontribution, ein. Mitrofanov gibt in seinem Werk über Kaiser Joseph II. ein Beispiel, wie die Eigenliebe der Stände geschont wurde und wie huldvoll und wohlwollend die Landtagspostulate lauteten. So schrieb die böhmisch-österreichische Hofkanzlei einmal im Namen des Kaisers an die sich versammelnden Stände Kärntens: „Wir zweifeln nicht, daß die alleruntertänigsten Stände Unseres Herzogtums Kärnten von Unserer Gemüthszärtlichkeit, die sie so oft kennen lernten, über­zeugt sind. Wir sind bemüßigt, ihnen einige Steuern mehr aufzuerlegen, außer jenen, die das dringendste Bedürfnis erheischt. Aber je größer Unser Wunsch ist, die Lasten zu erleichtern, die Unseren treugehorsamen Ständen obliegen, um so schmerzlicher ist für Uns die Einsicht, daß Wir augenblicklich Unsere wohlmeinenden väterlichen Absichten nicht ausführen können. Die Sicherheit und das Wohl Unseres Staates im allgemeinen, ebenso wie jedes Standes im besonderen bildet den Gegenstand aller Unserer Sorgen. Gerade deshalb aber sind Wir gezwungen, entsprechende militärische Kräfte zu unterhalten und die schweren Schuldenlasten, die zur Zeit teurer Kriege übernommen werden mußten, zu tilgen; beides erscheint als unumgänglich notwendig, wenn Unser Staat nicht in Verfall geraten und unvermeidlichen Gefahren ausgesetzt wer­den soll“ 10 ii)). Dieser beinahe unterwürfig klingende Ton sollte bald anders wer­den. Denn Joseph hob die Selbstverwaltung gänzlich auf, und die finan­zielle Amtstätigkeit der Stände ging auf die Gubernialbehörden sowie auf Spezialkommissionen über. Der Kaiser kehrte zur Ordnung von 1749 zurück, zum „Directorium in publicis et cameralibus“, wodurch die böhmisch-österreichische Hofkanzlei nicht nur die administrativen, son­dern auch die finanziellen Angelegenheiten in die Hand bekam. Der Herrscher meinte, auf diese Weise werde die Kontrolle leichter sein als früher, da die umfangreiche Korrespondenz zwischen den Ministerien den Geschäftsgang zu sehr verlangsamten). Er war, wie Quesnay, der s) Vgl. Paul von Mitrofanov Joseph II. Seine politische und kulturelle Tätigkeit. Aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt von V. von Demelic, 2 Teile (Wien und Leipzig 1910) 411. i°) Mitrofanov Joseph II. 412. ii) Vgl. ebenda 413.

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