Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)
HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien
300 Peter Hersche kannten91); gleichzeitig habe er sein Seminar kritisiert und ehemalige Alumnen ihrer Grundsätze wegen, die sie dort kennengelernt hatten, als Rigoristen und Jansenisten taxiert. Die Meldung klingt auf den ersten Blick etwas zu sehr nach Kolportage, um unbesehen hingenommen werden zu können, umsomehr als der Kardinal bekanntlich aus seinem reichen Bistum Waitzen jedes Jahr erhebliche Einkünfte bezog. Indessen wird noch in anderen Fällen berichtet, daß die Jesuiten versucht hätten, ihre Gegner durch Bestechung zu gewinnen. So etwa hätten sie mehrmals versucht, Stock mit Geld auf ihre Seite zu ziehen, allerdings ganz erfolglos 92). Hinzu kommt jedoch noch ein besonderer Umstand. Zu Beginn des Jahres 1767 waren die Jesuiten aus Spanien und Neapel ausgewiesen worden. Als indirekte Folge dieser aufsehenerregenden Maßnahme wurde dann im Juli desselben Jahres Ignaz Müller, einer der führenden Jansenisten in Wien, anstelle des Jesuiten Kampmiller Beichtvater der Kaiserin Maria Theresia93). Beide Vorfälle mußten auf die österreichischen Jesuiten wie ein Schreckschuß wirken und den Orden veranlassen, seine weitläufigen Besitzungen in der Monarchie schnellstens und ohne Rücksicht auf finanzielle Einbußen zu liquidieren und den Ertrag in flüssigen Mitteln anzulegen, die gegebenenfalls leichter in Sicherheit zu bringen waren. So war denn der Zeitpunkt günstig, ein für beide Parteien befriedigendes Geschäft abzuschließen. Wie in einem Spiegel zeigt sich Migazzis Rückentwicklung in der weiteren Geschichte seines Seminars94). Das einst mit Liebe gehegte Institut wurde nun eines der bevorzugten Objekte von Migazzis Haß. Zu einem ersten Zwischenfall war es schon 1766 wegen einer kirchenrechtlichen Frage gekommen. Damals war in Wien (mit fingiertem Druckort Amsterdam) ein Werk mit gallikanischen Tendenzen, Frangois Richers De l’autorité du clergé et du pouvoir du magistrat publique nachgedruckt worden. Migazzi gedachte gegen das Werk zu protestieren und ließ es zu diesem Zweck von einigen Theologen, darunter auch den Seminarlehrern Stöger und Hoffmann, prüfen. Die beiden konnten aber keine anstößigen Sätze finden. Der Kardinal war unzufrieden und zum ersten Mal fiel das Wort von den am Busen genährten Schlangen. Die eigentliche Leidenszeit für die Alumnen und ihre Lehrer begann 1770. Eine Umge®i) Vgl. auch Nouvelles Ecclésiastiques 47 (1774) 185. 92) Nouvelles Ecclésiastiques 47 (1774) 42; Neueste Beiträge 2 (1791) 412 f über Stock. — Selbstverständlich lassen sich solche Affären schwer genau belegen. Die beiden Berichte gehen auf Wittola zurück, Stocks Lieblingsschüler, dem er sein besonderes Vertrauen schenkte und den er auch zu seinem Nachfolger ausersehen hatte. Deshalb darf man wohl zumindest dem Kern der Erzählungen den Wahrheitsgehalt nicht absprechen. — Von einer andern Bestechungsaffäre berichtet Winter Josefinismus 49. *8) Über die Umstände dieser Ernennung vgl. Hersche War Maria Theresia eine Jansenistin? 19. 94) Vgl. die Anm. 46 genannten Quellen.