Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenistischen Bewegung in Wien 287 die Errichtung der neuen Lehrstühle selbst verlangt, um den Neid und Haß ihrer Gegner, namentlich in den anderen Orden, etwas zu vermin­dern 33). Mit Stock sind wir in den Kreis der Wiener Freunde Migazzis einge­treten. Stock, der eigentliche Begründer, Organisator und erste Führer der jansenistischen Bewegung in Wien, hatte schon Migazzis Vorgängern gedient, aber keiner hatte je daran gedacht, ihn auf einen einflußreichen Posten zu erheben. Stock dankte Migazzi für seine Protektion durch un­ermüdlichen Einsatz bei der geplanten Studienreform, deren Verwirk­lichung ja in erster Linie vom Fakultätsdirektor abhing. Zuerst ging er auf die Suche nach geeigneten Lehrkräften für die zwei neuen Lehr­kanzeln. Er fand sie in dem Dominikaner Pietro Maria Gazzaniga für die thomistische, in dem Augustiner Giuseppe Azzoni für die augustinische Theologie. Azzoni überließ seine Stelle bald seinem Ordensbruder Ago- stino Gervasio. Gazzaniga und Gervasio gehörten jahrelang zu den füh­renden Köpfen im Wiener Jansenistenkreis, sie waren auch mit dem Erzbischof in freundschaftlicher Verbindung34). Gazzaniga soll das Priesterseminar mit französischen — und das heißt wohl jansenistischen — Büchern versehen haben. Gervasio aber widmete dem Oberhirten seinen Traktat De verbo Dei incarnato (Wien 1764). In dem Widmungsschreiben bedankt er sich für die Förderung, die der Kardinal der „Theologia sanior“ gegen die Scholastik, die mit Epitheta wie „barbarisch“ und „Pest“ be­dacht wird, angedeihen ließ 35 36). Bemerkenswerter noch als die Freundschaft mit führenden Wiener Theologen erscheint aber die Förderung, die der Erzbischof jungen Talenten gewährte, die nicht selten sogar ihm persönlich ihre „Bekeh­rung“ vom Jesuitismus zum Jansenismus zu verdanken hatten. So etwa Wittola, später wohl der bekannteste österreichische Jansenist. Er schreibt selber, daß er, nachdem er bei den Jesuiten Unterricht im Probabilismus und „Hildebrandismus“ genossen habe, es Migazzi als größte Wohltat anrechne, ihn in seinem 23. Altersjahre davon bekehrt zu haben3e). Mi­gazzi, der Wittolas Begabung bei einer Prüfung erkannt hatte, gestattete dem fleißigen Studenten in liberaler Weise, Bücher aus seiner Privat­bibliothek mit nach Hause zu nehmen37). Darunter befanden sich Werke von Pascal, Nicole, Bossuet, Fleury und Duguet, und je mehr Wittola davon las, desto mehr ekelte ihn die Jesuitentheologie an, sodaß es der 33) Wolfsgruber Migazzi 293 f. 34) Winter Josefinismus 57 f. 35) „Theologia sanior (ac purior)“ ist wie „sana dottrina“ ein gern ver­wendeter zeitgenössischer Sammelbegriff aller irgendwie auf Augustinus zu­rückgehenden antijesuitischen, dogmatischen und moraltheologischen Lehrmei­nungen. 36) Wienerische Kirchenzeitung 5 (1788) 23. 37) de Luca Lebensgeschichte Wittolas 10—13.

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