Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenistischen Bewegung in Wien 283 dem Nächsten. Das Werk fand bald auch in Österreich Leser, weite Ver­breitung aber gewann es erst durch die Übersetzung ins Deutsche, die Migazzi veranlaßtew). Sein Verdienst, Muratori in Österreich bekannt­gemacht zu haben, wurde später selbst von seinen Kritikern aner­kannt ls). Unter dem Titel Die wahre Andacht des Christen erschien die Übersetzung, mit einem Vorwort Migazzis, erstmals 1759 in Wien bei Trattner, weitere Auflagen folgten. In einem Monitum vom 23. Septem­ber 1759 forderte der Erzbischof zur Lektüre des Buches auf. Er ver­schaffte ihm auch Eingang am Kaiserhof, was zu einem Zwist mit den jesuitischen Hofbeichtvätern führte le). Viele Gedanken Muratoris gingen jansenistischen Bestrebungen parallel, dennoch kann Muratori keinesfalls als Jansenist bezeichnet wer­den. Migazzi aber, der in den Anfängen seiner Regierung in Wien in Gesprächen mit Melchior Blarer, dem späteren Direktor seines Priester­seminars, über die Unwissenheit seines Klerus geklagt hatte 17), empfahl seinen Geistlichen, namentlich den angehenden Priestern in seinem Alumnat, zur Hebung ihres Bildungsstandes auch Werke, die eindeutig jansenistisch waren oder jansenistischen Lehren zumindest nahestanden. Gleichzeitig verdammte er jesuitische Werke, die probabilistische oder laxistische, also dem jansenistischen Rigorismus entgegengesetzte Grund­sätze vertraten. So erreichte er das Verbot der beiden weitverbreiteten Moraltheologien der Jesuiten Busenbaum und Lacroix durch die öster­reichische Bücherzensur und ersetzte sie im Unterricht durch die rigoristi- schen Werke von Godeau, Genet und Alexander18). Die beiden von 14) Zum Eindringen des Gedankengutes Muratoris nach Österreich vgl. Eleonore Zlabinger Lodovico Antonio Muratori und Oesterreich (Inns­bruck 1970). Die Autorin wird allerdings, abgesehen von ihren m. E. sehr an­fechtbaren Schlußfolgerungen, der Bedeutung Migazzis für die Rezeption Muratoris in Österreich in keiner Weise gerecht, bezeichnenderweise sind auch die bei Trattner erschienenen deutschen Übersetzungen in ihrem Gesamtver­zeichnis der Werke Muratoris nicht aufgeführt. Vgl. demgegenüber neuerdings Grete Klingenstein Staatsverwaltung und kirchliche Autorität im 18. Jahrhundert. Das Problem der Zensur in der theresianischen Reform (Wien 1970), 101 ff und Quellenanhang 4; außerdem Novelle Letterarie 21 (1760) 9—11, 286—287, 292—294, 368. is) Wienerische Kirchenzeitung 3 (1786) 691; E y b e 1 Einleitung in das katholische Kirchenrecht 4/2, 11. i®) Peter Her sehe War Maria Theresia eine Jansenistin? in Österreich in Geschichte und Literatur 15 (1971) 14—25. 17) Melchior Blarer Vnterthänigste Verantwortung, warum er seit seiner Anwesenheit in Wien nicht Mess las? (Wien 1783) 9, 13. 18) August Ludwig v. Schlözer Staatsanzeigen 2, Heft 5 (Göttingen 1782) 18; Nouvelles Ecclésiastiques 56 (1783) 129. — Die Medulla theologiae moralis von Hermann Busenbaum war die verbreitetste Moraltheologie im deut­schen Sprachraum, sie erschien seit ihrer Erstausgabe (1645) bis zum Jahre 1770 in rund 150 Neuauflagen. Die Theologia moralis von Claude Lacroix, erstmals 1707—1714, war eigentlich ein Kommentar zu Busenbaums Werk.

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