Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

BRETTNER-MESSLER, Horst: Die militärischen Absprachen zwischen den Generalstäben Österreich-Ungarns und Italiens vom Dezember 1912 bis Juni 1914

246 Horst Brettner-Messler Eine wesentliche Bedingung für das klaglose Zustandekommen des dies­seitigen Aufmarsches ist nämlich die ungestörte Aufrechterhaltung des Verkehrs auf der Bahnstrecke Oderberg—Krakau-—Tarnów—Rzeszów etc. Sind nun auch unsererseits die möglichsten Maßnahmen hiezu getroffen, so wäre es doch von ganz besonderem Vorteil in dieser Hinsicht, wenn deutscherseits ein größerer Infanteriekörper und insbesondere ein größerer Kavalleriekörper im südöst­lichen Schlesien (etwa Gleiwitz) versammelt und zur Offensive in das Gebiet nördlich der Weichselstrecke Krakau—Sandomierz angesetzt würde, dadurch wäre es möglich, im Verein mit österreichisch-] ungarischen] Kräften etwaigen größeren gewaltsamen russischen Unternehmungen gegen die be- zeichnete Bahnstrecke wirksam zu begegnen, dieselbe vielleicht schon im Keime zu ersticken. Nach dieser Detailfrage sei es mir gestattet, noch in Kürze auf das große Ganze zurückzukommen. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich die Lage im allgemeinen ähnlich jener des Jahres 1908/9 erachte, so daß die damaligen Festsetzungen im großen auch noch heute zutreffen. Wesentlichere Unterschiede liegen nur darin, daß durch die bundestreue Hal­tung Italiens die Monarchie nach dieser Richtung von einer Sorge frei ist, daß aber andererseits die niedergeworfene Türkei als Gegengewicht gegen die Balkanstaaten ausfällt, und letztere eine Macht gewonnen haben, welche sie n) viel gewichtiger ins Kalkül fallen läßt, als ehedem "), ferner, daß Rußland heute weit schlagbereiter ist, als vor vier Jahren. Wenn die Entwicklung der momentanen Lage nun eine kriegerische Rich­tung o) nehmen sollte °), so könnte dies entweder als sofortiger Kampf zwi­schen Dreibund und Tripleentente i>) geschehen P), oder es könnte vorerst eine Aktion gegen Serbien erfolgen, welche dann erst, durch das Dazwischentreten Rußlands, den großen Kriegsfall auslöst. Der günstige Fall, daß Rußland der Monarchie gegen Serbien freie Hand läßt, ist kaum vorauszusetzen. Muß aber mit dem Krieg gegen Rußland gerechnet werden, dann wäre es wohl das Vorteilhafteste 9U), wenn ohne vorhergehender) Verwicklung ge­gen Serbien und Montenegro der große Kriegsfall von Haus aus zustande käme, wobei dann die Monarchie mit ihren Hauptkräften (40 Di[visi]onen) sofort gegen Rußland auftreten könnte. Sollte es jedoch vorerst zu einer Aktion der Monarchie gegen Serbien kom­men und Rußland zunächst abwartens), so muß das Verhalten der Monarchie durch den Moment bestimmt werden, in welchem Rußland den ersten feind­seligen Schritt (also schon die Mobilisierung) unternimmt. Wenn rechtzeitig möglich, würden dann alle gegen R[ußland] bestimmten Kräfte tatsächlich noch gegen Rußland dirigiert werden, so daß dorthin 40 Di[visi]onen zur Stelle kämen, wenn jedoch rechtzeitig nicht mehr mög­lich, würde getrachtet werden, vorerst einen entscheidenden Schlag gegen Ser­bien zu führen, um dann erst die frei werdenden Kräfte gegen Rußland zu dirigieren. Das Mißliche dieses Falles läßt am besten erkennen, wie weitaus vorteil­hafter es wäre, die Austragung des Kampfes zwischen Dreibund und Tripleen­tente von Haus aus anzustreben, auch hier die Interessen des großen Ganzen über die Sonderinteressen stellend. n_n) Korrektur aus zu einem sehr ins Kalkül fallenden Faktor macht o-«) Korrektur aus nimmt p~p) Korrektur aus erfolgen 1") von Haus aus diesen Krieg mit aller Kraft zu führen gestrichen r) größere gestrichen s) Korrektur aus abwartend sich verhalten

Next

/
Thumbnails
Contents