Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte

442 Literaturberichte Parma und der möglichen Nachfolge ihres Sohnes. Umso mehr hat sich Metternich, sobald die Rückkehr Ludwigs XVIII. einmal feststand, um eine rasche Normalisierung der Beziehungen bemüht, die vor allem von dem Wunsch getragen wurde, sich des bourbonischen Königtums bei sei­nen antirevolutionären Tendenzen zu bedienen und seinen Anschluß an die ihm bereits allzu bedrohlich erscheinende Macht Rußland zu verhin­dern. Schon bei den Konferenzen in Paris 1815 (S. 41—68) lief Metternichs Haltung weniger darauf hinaus, eigene Ziele durchzusetzen, als eine für Österreich günstige Konstellation der Großmächte zu bewirken. Dazu dienten die Anlehnung an England, aber auch Zugeständnisse an Frank­reich in der Frage der Kriegsschulden und der Verminderung bzw. des Abzugs der ausländischen Truppen, die wesentlich zu einer Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen beitrugen, wie sie besonders für die Jah­reswende 1816/17 kennzeichnend ist. Metternich war dafür sogar bereit, auf die Nachfolge des Sohnes Napoleons in Parma zu verzichten (S. 134), erwartete sich aber auf der anderen Seite eine Zusammenarbeit mit Frankreich in der Überwachung verdächtiger Emigranten und gemein­same Schritte gegen die Pressefreiheit in anderen Staaten (S. 114 ff), zu welchem Zweck er bereits seit 1816 mit dem damaligen Polizeiminister Decazes in Kontakt stand. Die Frage der ausländischen Entschädigungsansprüche (S. 145—159) begann dann seit 1817 das mühsam hergestellte Einvernehmen mit Frankreich wieder zu gefährden, weil Österreich hier die Interessen der deutschen und italienischen Staaten zu vertreten hatte und dem Vorwurf Vorbeugen mußte, diese zu seinen Gunsten zu vernachlässigen. Dazu trat eine wachsende Besorgnis über die innere Lage in Frankreich; die Beun­ruhigung über angebliche liberale Tendenzen des Ministeriums Richelieu (S. 170) zu Beginn des Jahres 1818 führte zu einer Annäherung an die Ultras und zu dem nur teilweise geglückten Versuch einer Vermittlung zwischen ihnen und dem Ministerium (S. 180 ff). Der Wunsch Frankreichs, auf dem Kongreß von Aachen als vollwerti­ges Mitglied in den Verein der Großmächte aufgenommen zu werden, brachte es in Gegensatz zu Metternichs Bestrebungen nach Aufrechterhal­tung der Quadrupelallianz von 1815. Der für Frankreich schließlich gün­stige Kompromiß war hauptsächlich Rußland zu verdanken, ein Umstand, der das Verhältnis zu Österreich abkühlen mußte. B. de Sauvigny bemüht sich in diesem Kapitel besonders um die Ordnung der Chronologie der einzelnen Sitzungen, um an Hand ihrer Tagesordnung den Anteil der einzelnen Staaten an den schließlich getroffenen Vereinbarungen festzu­stellen, was durch den Umstand erschwert wird, daß für die entscheiden­den Gespräche hinter den Kulissen die Berichte des englischen Vertreters Castlereagh als einzige Quelle vorliegen (S. 197). Er hat auch bei den Konferenzen den Ton angegeben, während sich Metternich mit der Rolle eines „brillant second“ begnügen mußte (S. 204). Es war ihm jedoch dafür geglückt, seinen Standpunkt bezüglich der Beschränkung des Kon­gresses auf Frankreich und die großen Vier gegen die Auffassung Ruß­lands durchzusetzen.

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