Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

OBERMANN, Karl: Unveröffentlichte Schriftstücke Metternichs vom Sommer 1845 über deutsche Angelegenheiten

396 Karl Obermann die Welt ausgebrochenen, sozialen Revolution, deren Hauptmomente die amerikanische und die französische Revolutionen waren“, als die „Ursachen des bestehenden Übels“. Metternich sprach diesen „Theorien“ einen positiven Wert ab; sie hatten für ihn lediglich eine auflösende Wirkung. Darin sah er die Gefahr, die von diesen „Theorien“ bzw. wie er sagte „Hirngespinnsten“ in Deutschland ausgeht. So legte er dar: „Daß aus Hirngespinnsten nie bewohn­bare Gebäude entstehen können, dies unterliegt keinem Zweifel. Sind sie aber keine bildenden Gewalten, so wirken sie als lösende des Bestehenden, und als solche sind sie, aus dem ihnen eigenen Mangel jeder bindenden Kraft, höchst gefährliche Auswüchse in der Gesellschaft. Erlangen sie einmal eine anschei­nende Gediegenheit, bemächtigen sie sich der Massen, so muß ihnen entgegen­getreten werden; und bei diesem notgedrungenen Unternehmen tritt die Aus­wahl der Mittel und Wege in die erste Reihe der Erwägungen.“ Urteilen hieß bei Metternich verurteilen bzw. feststellen, daß Ideen, die nicht mit seinem Glauben und seinen Anschauungen übereinstimmen, als ver­derblich und zersetzend betrachtet und bekämpft werden müssen. Bei den Erwägungen über die anzuwendenden „Mittel“ steht wieder der Hinweis im Mittelpunkt, die bestehenden Gesetze anzuwenden. Dazu heißt es: „Alle deut­schen Staaten besitzen Gesetze, welche der Erhaltung der souveränen Gewalt — also der Ordnung — Ruhestörern gegenüber, den Weg bezeichnen. Andererseits enthält die Bundesgesetzgebung die Hülfe, welche einzelne Regierungen, unter gegebenen Umständen, sich selbst zu bieten nicht vermögen dürften. W i e soll den unläugbar bestehenden Mitteln der Hülfe die Bahn eröffnet werden? Dies scheint mir die zu lösende Aufgabe des Tages zu sein.“ Zu diesem Zweck empfahl Metternich die Wiederbelebung der „Centralen Untersuchungs-Commission“, die er als den „Central-Punkt“ be- zeichnete, „in welchem die Ereignisse nicht in getrennter Folge, sondern in ihrem Zusammenhänge aufgefaßt werden können.“ Seine „Betrachtungen über die Lage Deutschlands“ schloß Metternich mit folgenden lobenden Bemerkun­gen ab: „Würde deren Einberufung nicht für das gesamte Deutschland den doppelten Wert eines Beweises der Übereinstimmung in dem Gefühle des Be­dürfnisses, das im Bunde Übel obwalten, denen die Regierungen entgegenzu­treten entschlossen sind, und des Vorhandenseins der Bundeshülfe zur Er­haltung des größten Gutes der Nation: der Sicherung ihres durch die öffent­liche Ruhe allein zu verbürgenden Wohlstandes zu finden? — Stimmen würden sich gegen diese Maßregel erheben; welche Stimmen könnten diese aber sein, wenn nicht jene der Beförderer des Übels, dessen Bekämpfung es gilt“ 14)? Aber im Jahre 1845 konnten die deutschen Regierungen und die Bundes-Versammlung diese „Stimmen“ des Volkes nicht mehr völlig ignorieren wie 1815 und 1819. Die Stärke und zunehmende Verbreitung der antifeudalen fortschrittlichen Volksbewegung machte viele Maßnah­men unwirksam. So konnte Varnhagen von Ense am 27. September 1845 notieren: „In der Verwaltung ist alles schlaff, unschlüssig und verdrießlich; nur die einstweilige Verfolgung der Deutschkatholiken und der Lichtfreunde setzt den knechtischen Geist mancher Behörden etwas in Schwung. Und das gerade taugt am wenigsten“ 15). 14) Ebenda fol. 23—26 (Abschrift). 15) Varnhagen von Ense Tagebücher 3, 215.

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