Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

GARDOS, Harald: Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915. Einige Aspekte ihrer Beziehungen

Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915 291 treten war. Die Ursachen des rapiden Umschwunges sind einerseits wohl in den Unabhängigkeitsbestrebungen der Armenier und der damit ver­bundenen Anlehnung an Rußland, andererseits aber in den Nationali­sierungstendenzen der Jungtürken zu suchen. Tatsache blieb, daß be­reits im Frühsommer 1915 großangelegte Umsiedlungen in das syrische Wüstengebiet „aus Sicherheitsgründen“ vorgenommen wurden, die prak­tisch in den Tod führten, da Hunger, Durst und fanatische Kurden und Syrer die Vertriebenen fast nie ihr Ziel erreichen ließen. Ein großer Teil der armenischen Bevölkerung war katholisch; wie verhielt sich die Donaumonarchie angesichts einer Situation, die ihre Protektoratsinteressen von der menschlichsten Seite her berührten, und wie ihr mächtigerer Verbündeter, der zweifelsohne starken Einfluß auf die Pforte ausüben konnte? Markgraf Pallavicini erklärte auf die ersten Nachrichten von Armenierverfolgungen hin, bis auf weiteres völlig passiv verbleiben zu wollen. Die politische Lage war im Juni derartig schwierig, daß sich die Stellung Österreich-Ungarns gegenüber dem Osmanischen Reich in allen Angelegenheiten, die sich auf dessen Unabhängigkeit von jedem europäischen Einfluß bezogen, sehr heikel gestaltete 18ä). Doch nur wenige Tage später, nach alarmierenden Meldungen aus Trapezunt, ent­schloß sich der k. u. k. Botschafter, wenigstens den Versuch einer Inter­vention zu unternehmen186). Es folgten weitere diplomatische Schritte, auch von deutscher Seite, die jedoch von dringenden politischen Rück­sichten überdeckt wurden. Der Druck, den die Mittelmächte schließlich bezüglich der türkisch-bulgarischen Verhandlungen auf die Pforte aus­übten, erschwerte es ihnen ungeheuer, in der Frage der armenischen Austreibung an sie heranzutreten187 188). Dennoch ließ man nicht locker; am 11. August erhob Pallavicini von neuem Einspruch, während der deut­sche Sonderbotschafter, Fürst Hohenlohe-Langenburg, einen Tag darauf eine förmliche Démarche vornahm. Diese Bemühungen blieben gleich­falls erfolglos, die türkische Regierung zeigte sich sogar äußerst ver­stimmt, besonders durch die scharfe Vorgangsweise des Fürsten ,88). Auch eine persönliche, schriftliche Intervention des Papstes im November brach­te lediglich das Versprechen der Pforte, die katholischen Armenier in ihren Wohnsitzen zu belassen, bzw. ihnen die Rückkehr nicht zu ver­wehren 189 *), es wurde nicht erfüllt. Obwohl der Nachfolger Wangen­heims, Graf Wolff-Metternich, sich wirklich tatkräftig einsetzte, konnte auch er den Leidensweg eines Volkes nicht mehr aufhalten, das ihn bis zu seiner Vernichtung gehen mußte. iss) A. a. O. fol. 257: Ber. 49/F, 24. VI. 15, Pallavicini an Burián. iss) a. a. O. fol. 260: Ber. 50/C, 27. VI. 15, Pallavicini an Burián. 187) PA XII 464 Ber. 65/A—B: 10. VIII. 15, Pallavicini an Burián. 188) pa XII 209 fol. 319: Ber. 66/B, 13. VIII. 15, Pallavicini an Burián. 189) pa XII 464 fol. 2: Ber. 63, 24. XI. 15, Kwiatkowski (Trapezunt) an Burián. — Erzberger Erlebnisse 76. 19*

Next

/
Thumbnails
Contents