Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 20. (1967)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Antisemitismus in der österreichischen Literatur 1900–1938

Antisemitismus in der österreichischen Literatur 1900—19.38 365 österreichischen Staat veröffentlichte, sah in den „Kaftaniden“ die eigent­lichen Drahtzieher des Umsturzes. Das „geschändete“ Wien64) behandelte Richard Peter85), wobei der neureiche Dörrgemüsehändler Emil Blütenfels mit allen nur denkbaren negativen Eigenschaften geschildert wurde. Der Klosterneuburger Ernst Felix Weiß 66) ließ seinen Helden „Albertus Dürencrutz“ (1927) nach der Enttäuschung seiner Liebe zu einer bolschewikischen Jüdin zu katholi­schem Glauben und Österreichertum zurückfinden. In den Dreißigerjahren flaut der Antisemitismus in der österreichi­schen Literatur auch schon vor der Installierung des antinationalsozia­listischen Ständestaates merklich ab, nach 1934 tritt er höchstens noch subkutan in Erscheinung. 1931 stellt Hermann Graedener67 68) in seiner Sickingentragödie 6S) Staat, Kirche und Geld als die das Neue Deutschland hemmenden Mächte dar. 1933 geißelt Hans Fischer-Stockern69) in der Figur des Bankdirektors Landauer jüdische Raffgier und Genußsucht 70). Dann wird die jüdische Frage mit antisemitischer Tendenz an die österreichischen Leser nur mehr durch deutsche Bücher, aber auch durch Studentenromane sudetendeutscher Schriftsteller herangebracht 71). Als der Nationalsozialismus in Österreich 1938 die Herrschaft an sich riß, waren die vielfältigen antisemitischen Beeinflussungen, denen die Öster­reicher seit Jahrzehnten ausgesetzt waren, aber noch immer so wirksam, daß ihre Anteilnahme am grausamen Schicksal der Juden im allgemeinen beschämend gering blieb, daß ihre antisemitischen pränazistischen Ressen­timents bei vielen sogar Auschwitz überdauerten. Es wäre allerdings eine Geschichtsfälschung, wenn man behaupten wollte, daß in Österreich mit seiner Hauptstadt Wien, einem Zentrum jüdischer Geistigkeit, nicht auch zahlreiche Stimmen gegen den Anti­semitismus laut geworden wären. Schon 1892 hatte Heinrich Blechner72) in einem Schlüsselroman 73) über die jüdische Abkunft der Frau Schönerers den Antisemitismus lächerlich gemacht. 1894 veröffentlichte Hermann Bahr74) eine Reihe von 1893 für die liberale „Deutsche Zeitung“ gemach­ten internationalen Interviews75) über den Antisemitismus, den er den „Morphinismus der kleinen Leute“ nannte. In seinem 1918 erschienenen Roman „Die Rotte Korahs“ entdeckt der Held, ein leidenschaftlicher 64) Die besiegte Stadt, 1926. 65) Eigentlich Richard Peter Baumfeldt-Lohnstein, 1881 geb. in Wien. 66) 1901 geb. in Klosterneuburg. 67) 1878 geb. in Wien, 1956 gest. in Altmünster. 68) Neues Reich, 1931. 69) 1898 geb. in Wien, 1947 gest. in Heckendorf, Bayern. 70) Nur ein Österreicher, 1933. 71) Z. B. Wilhelm Pleyer, Der Puchner, 1931; Rudolf Hain, Männer von Morgen, 1936. 72) 1845 geb. in Wien, 1901 gest. ebenda. 73) Schmul—Leeb—Kohn, 1892. 74) 1863 geb. in Linz, 1934 gest. in München. 75) Antisemitismus, 1894.

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