Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19. (1966)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bedeutung des Zeitungsarchivs Borgs-Maciejewski für die zeitgeschichtliche Forschung

556 Literaturberichte rückzukehren und 1962 bzw. 1964 legte er zwei weitere Teile seiner Untersuchungen zum Dreibundsystem vor. Der 1925 veröffentlichte erste Band hatte mit der Entlassung Bis­marcks abgeschlossen, die beiden neuen Teile setzen nun die Darstellung für das folgende Jahrzehnt von 1890 bis zu dem für die Geschichte des Dreibundes so bedeutsamen Jahr 1902 fort. Mit der Entlassung Bismarcks war zweifellos eine entscheidende Veränderung in den internationalen Beziehungen eingetreten. Zu lange allerdings haben sich Historiker von dem äußeren Faktum der Entlassung Bismarcks verleiten lassen, den Zer­fall des Bismarckschen Bündnissystems auf das politische Versagen seiner schwächeren Nachfolger zurückzuführen. Das Ende der deutschen Be­herrschung des Kontinents ist jedoch eine Folge der Veränderung der internationalen Beziehungen in ihrem grundsätzlichen Charakter. In dem Jahrzehnt von 1890—1902 trat die Welt politik an die Stelle der Kontinental politik. Bismarcks System war ein System der Konti­nentalpolitik gewesen, doch auf dem europäischen Kontinent boten sich kaum mehr Möglichkeiten einer entscheidenden Expansion, soferne man nicht in einen Existenzkampf mit den benachbarten Großmächten zu treten bereit war. Die Weltpolitik erforderte nun aber ein anderes System der internationalen Beziehungen als es die deutsche Diplomatie seit Bis­marck gewohnt war. Aufgabe der Außenpolitik wurde es nun nicht, Kampfbündnisse zu schließen, welche die Großmächte für mögliche Kriege aneinanderschmieden, sondern Interessengemeinschaften zu bilden, in denen durch fast geschäftsmäßige Absprache die friedliche Durchdrin­gung vereinbarter Einflußzonen ermöglicht werden sollte. Der Übergang von der Kontinentalpolitik zur Weltpolitik, der sich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts vollzieht, spiegelt sich wieder im Übergang von der Allianzpolitik zur Ententepolitik und der Wechsel kulminiert gleich­sam im sogenannten „Zusammenstoß“ von Faschoda, der zum eigent­lichen Wendepunkt der Politik der europäischen Großmächte wird. Die deutsche Außenpolitik hat diese Entwicklung nicht erkannt, oder viel­leicht sogar bewußt abgelehnt, während die italienischen Staatsmänner dem „neuen Stil“ der internationalen Beziehungen sich anzupassen suchten. In diesem Widerspruch der Zielsetzung liegen die Krisen be­gründet, welche die Weltpolitik, wie auch die Geschichte des Dreibundes in dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts belastet haben. William Langer hat in seinem ausgezeichneten Werk über „The diplomacy of im­perialism“ schon 1935 diese Problematik erkennen lassen — doch in den beiden neuen Bänden von Granfelts Werk über das Dreibundsystem findet sich von diesen Einsichten keine Spur. Hier wird diplomatische Geschichte getreu den Grundsätzen der Kriegsschuldforschung als Bündnisgeschichte dargestellt und Machtpolitik ist die notwendige Lebensäußerung des Staates, für den die kriegerische Auseinandersetzung ein fast natürlicher Wesensbestandteil ist. Granfeit hat zwar in seiner Darstellung des Dreibundes die Weltpolitik mit einbezogen; die Marokkofrage, das ägyptische Problem, ja selbst Kuba und auch die skandinavische Frage werden in seiner Darstellung gewürdigt, aber schon der Untertitel des zweiten Teiles seiner Dreibund­

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