Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)

MECHTLER, Paul: Internationale Verflechtung der österreichischen Eisenbahnen am Anfang der Ersten Republik. Die Trennung des altösterreichischen Eisenbahnwesens nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie

Internationale Verflechtung der österreichischen Eisenbahnen 409 finanzielle Vorteile, welche die Zentralstelle besaß (Postsparkassenkonten!), konnten nutzbringend nur in den ersten Wochen nach dem Zusammenbruch verwertet werden. Schließlich waren verschiedene Positionen nur treuhän- disch bis zur endgültigen Liquidierung zu verwalten, und man befürchtete mit Recht, daß beim Abschluß eines Friedensvertrages die Verkehrssouve­ränität Österreichs empfindlich beschränkt werden würde42). Im Frühjahr 1919 zeigte sich, daß das Gemeinsame Verkehrskomitee, das im Anfang zweifelsohne fruchtbare Erfolge erzielt hatte, seinen Auf­gaben nicht mehr gewachsen war. Aus den Protokollen ist deutlich zu ent­nehmen, daß einzelne Staaten immer mehr die Arbeiten dieser Körper­schaft durch verschiedene Maßnahmen sabotierten und daß einer Normali­sierung der Verkehrslage am meisten die schlechte Kohlenversorgung ent­gegenstand. Bei allen Durchgangstransporten mußte vorher Kohle geliefert werden: Leerfahrten von ganzen Zügen waren somit die Regel. Schließlich wurde auch die anfänglich so sachliche Verhandlungsatmosphäre durch politische Probleme belastet, wie z. B. durch politische Streitigkeiten des Eisenbahnpersonals in Lundenburg. Eine gewisse Besserung trat erst ein, als die alliierten Großmächte sich in Verkehrsfragen auf Grund des Waf­fenstillstandes einschalteten. Nach einer italienischen Mission, die sich bei der ultimativen Forderung der Abgabe von Fahrbetriebsmitteln zunächst unangenehm bemerkbar gemacht hatte, kamen auch die anderen Missionen. Mit der Wiederaufnahme des Verkehrs des Orientexpresses in seinem alten Kurslauf (erste Abfahrt nach Kriegsende am 11. Februar 1919 in Paris) waren die tschechoslowakischen Bemühungen gescheitert, Wien aus dem Ost-Westverkehr auszuschalten. Österreich hatte an und für sich zu­nächst keinen direkten Nutzen von dieser Verkehrsmaßnahme, sogar der englische Gesandte in Wien beklagte sich noch am 7. November 1919 (!) über die Privilegien, die Franzosen und Italiener bei der Benützung der Eisenbahnlinien in Österreich besäßen43). Den unmittelbaren Anstoß für ein energischeres Eingreifen der Alliierten in Verkehrsfragen gaben die starken italienisch-jugoslawischen Differenzen, die zu empfindlichen Stö­rungen im Hoover Hilfsprogramm geführt haben. Unmittelbar nach dem Waffenstillstand wandte sich Österreich um Lebensmittelhilfe an Amerika, und Präsident Wilson beauftragte Herbert Hoover mit der Organisation des sogenannten Reliefprogramms44). Im März 1919 kursierten in Wien hartnäckige Gerüchte, die von einer Übernahme des gesamten Eisenbahn­verkehrs in Mitteleuropa durch die Entente sprachen45). Diese Gerüchte besaßen einen wahren Kern, da der amerikanische Oberst William Causey, der sich später als großer Freund Österreichs entpuppte, von der Bot­40 VA, STAV, ZI. 4182/1918. 43) Documents on British Foreign Policy, 1919—1939, 1. Serie, Bd. 6, 1956, S. 353. L. berichtet darin über Schwierigkeiten für englische Zivilreisende von und nach Wien zu gelangen. 44) N. Almond a. R. H. Lutz, The Treaty of St. Germain, 1935, S. 90 ff. 45) Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen vom 22. 3. 1919.

Next

/
Thumbnails
Contents