Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
THOMAS, Christiane: Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866
296 Christiane Thomas „Theodelindenpokals“ und der 1838 für die Krönung Kaiser Ferdinands I. in Mailand geschaffene Ornat3S). Bevor Seidl aber, allerdings erst nach der Billigung durch Auersperg, mit der Verpackung beginnen konnte, mußten einige Kristall-, Gold- und Halbedelsteinkostbarkeiten wie auch die 21 Limoges-Emails aus dem Kunst- und Industriemuseum, an das sie entlehnt worden waren, an die Schatzkammer zurückgelangen38 39). Die von Seidl und Bergmann reklamierten Stücke wurden von Direktor Eitelberger zwei Tage nach der Konferenz im Oberstkämmereramt an ihre ursprüngliche Sammlung retourniert40). Im großen und ganzen war Seidls Auswahlprinzip — vom heutigen Standpunkt aus gesehen — ein bemerkenswert objektives. Es schloß repräsentative Schöpfungen der Blütezeit des Kunstgewerbes ein, das erst in den letzten Jahren — man erinnere sich an die verächtliche Äußerung der Hofstaatsbuchhaltung — an Wertschätzung gewonnen hatte. Es war vielleicht nicht Seidls eigene innere Überzeugung, schwere Elfenbeinschüsseln oder Kristallpokale für die Flüchtung namhaft zu machen. Die Gewohnheit des Kaisers, eine nicht geringe Zahl an bis dahin als unmodern betrachtetem Kunstgewerbe zur Dekoration seiner Appartements zu verwenden'41), ließ den Schatzmeister vermuten, daß dem Herrscher sicherlich eine Bergung derartiger Objekte wichtig war. Stellte aber nicht die Aufnahme des „Vogels aus Lindenholz“, einer künstlerisch wertlosen Spielerei, eine Geschmacksentgleisung des Schatzmeisters dar? Sollte „ein todter Canarien- Vogel in natürlicher Größe, mittelst eines Bindfadens an einem Nagel aufgehängt, rechts am Schnabel eine Fliege, das Ganze künstlich aus einem einzigen Stück Lindenholz geschnitzt, von einem Dilettanten, dessen Name Démontreuil auch unten beigesetzt ist, gewesenem Postmeister zu Nancy“ 42) in eine Kategorie mit den kaiserlich-österreichischen oder römisch-deutschen Insignien gereiht werden? Hier wirkte wahrscheinlich 38) Nach der Krönungsfeierlichkeit 1838 waren die Eiserne Krone, Mantel und Schwert in Monza, Szepter und Reichsapfel als Bestandteil des Domschatzes in Venedig deponiert worden. ZA Prot. 57, 1837/1838, fol. 81r—82r und 88v—91r. Kaiser Franz Joseph, der 1859 keineswegs gewillt war, sich diese Symbole der hahsburgischen Herrschaft in Italien entreißen zu lassen, wies aus Verona das Obersthofmeisteramt telegraphisch an, den Schatz an sich zu nehmen. 1861 wurde er an die Schatzkammer abgetreten. Lhotsky, S. 534. 39) Da das 1864 gegründete Museum in den ersten Jahren über keine eigenen Bestände verfügten, steuerten die kaiserlichen Sammlungen für die Wechselausstellungen des Museums Leihgaben bei, die jeweils nach einer „Winter- oder Frühjahrsexposition“ ausgetauscht wurden. Speziell die Schatzkammer wurde um qualitativ hochstehendes Kunstgewerbe gebeten (z. B. Schka. Fasz. 19, 1864, Nr. 45 und Nr. 88 oder Schka. Fasz. 20, 1865, Nr. 19), aber auch das Münz- und Antikenkabinett wie die Ambraser Sammlung überließen Direktor Eitelberger Musterbeispiele aus ihrem Besitz. OKäA 1866, Rubrik 53, Nr. 1033. 4») OKäA 1866, Rubrik 53, Nr. 1033. 41) Schka. Fasz. 16, 1853, Nr. 5; Schka. Fasz. 16, 1854, Nr. 21 und 27; Schka. Fasz. 17, 1858, Nr. 2. 42) Übersicht der Sammlungen der k. k. Schatzkammer (Wien, 1869), S. 46.