Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
BENNA, Anna Hedwig: Doppelspionage im Türkenjahr 1683
2 Anna Hedwig Benna durch dessen Mittelsmänner, den Almosenier des Botschafters Pere Limoson und dessen Bruder St. Didier, in geheime Korrespondenzen eingelassen hatten. Diese geheimen Verbindungen waren durch Intercepte der Berichte des Comte d’Avaux an Ludwig XIV., deren man sich bemächtigen und die man dechiffriert an den Prinzen von Oranien gelangen lassen konnte, aufgeflogen und ruchbar geworden. Überdies erschienen die aufgefangenen Berichte des französischen Botschafters sehr bald im Druck4). Neben diesen der Oberschicht entstammenden Agenten und Korrespondenten gab es eine Reihe kleinerer Leute, die vielfach, wenn sie schon nicht anonym blieben, unter Decknamen arbeiteten und als Abenteuerer5 6) ähnlich den Alchemisten 8) an den europäischen Höfen mit meist unverläßlichen, dafür aber phantastischen Informationen auftauchten 7). Begreiflicherweise konnte es nicht ausbleiben, daß es auch Agenten gab, die für verschiedene Auftraggeber und letzten Endes für sich selbst arbeiteten. Solchen Doppelspionen auf die Spur zu kommen, glückte nur äußerst selten. Meist entzogen sie sich geschickt durch Abreise in andere Länder dem drohenden Zugriff erboster Auftraggeber. Im August 1683, zu einem Zeitpunkt, als Wien vom türkischen Belagerungsheer eingeschlossen war und Kaiser Leopold nach einer überstürzten Flucht mit Gemahlin, Kindern, Hofstaat8), Schatzkammer und Teilen der 4) Berichte Kramprichs, Den Haag, 1684 Februar 24, 28. Geheime Staatsregistratur Kart. 69. Der Druck des Berichtes d’Avauxs „lettre de Monsieur le Comte d’Avaux au roy trés Chréstien, le 9 janvier 1684“ erliegt als Beilage zu Bericht Kramprichs, 1684 Februar 28. 6) Vgl. dazu die grundlegenden Ausführungen bei Max Braubach, Geschichte und Abenteuer. Gestalten um den Prinz Eugen (1950). 8) Zur Rolle der Alchemisten am Hofe Leopolds I. vgl. unten Anm. 17. 7) Wie aus einem Schreiben Leopolds I. an P. Emerich Sinelli vom 14. November 1674 (Edition: Helga Kirchberger, Briefe Kaiser Leopolds I. an P. Emerich Sinelli 1668—1675, Phil. Diss. Wien 1953, S. 133 n. CVI) hervorgeht, empfing der Kaiser einen Mann namens Joachim Rodemaker, der sich erbötig machte, Frieden zwischen dem Kaiser und Frankreich zu stiften. Der Mann bat, als der Kaiser von ihm Schriftliches verlangte, von P. Emerich gehört zu werden. Der Kaiser verwies ihn an seinen vertrauten Ratgeber. Sein Urteil über Rodemaker stand bereits fest: der war sichtlich ein Vagant und mente captus. Zu den Abenteuerern am Hofe Leopolds I. vgl. Heinrich v. Srbik, Abenteurer am Hofe Kaiser Leopolds I., Archiv für Kulturgeschichte 8 (1910). Wilhelm von Schröder, Ein Beitrag zur Geschichte der Staatswissenschaften, SB Wien 164/1 (1910) 48 f. 8) Die Flucht des Kaisers erfolgte ganz überraschend in den Abendstunden des 7. Juli 1683. Der Entschluß dazu war am frühen Nachmittag nach Anhörung des Obersthofmeisters Grafen Albrecht von Zinzendorf, des Bischofs von Wien P. Emerich Sinelli, des Oberststallmeisters Grafen Ferdinand Bonaventura von Harrach und des Vizepräsidenten des Hofkriegsrates Grafen Zdenek von Kaplif gefaßt worden. Vgl. Ferdinand Mencik, Ein Tagebuch des Grafen Bonaventura von Harrach während der Belagerung von Wien im Jahre 1683, AÖG 86, 1899, 211—212. Der Kaiser wurde von den obersten Hofämtern, den Präsidenten der Hofstellen und den Mitgliedern der Geheimen Konferenz, sowie den fremden diplomatischen Vertretern begleitet.