Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

WAGNER, Georg: Der Wiener Hof, Ludwig XIV. und die Anfänge der Magnatenverschwörung 1664/65

Wiener Hof, Ludwig XIV. u. die Anfänge der Magnaten Verschwörung 1664/65 89 beysammen gewesen, und sich benebenst in gar wenig Craisen einige reserva oder Hinterhalt gefunden, also daß in vielen Monaten keine Armee, so dem Feind hätte den Kopf reichen können, auffgericht werden kön­nen .. Unzufriedenheit der Ungarn. Die Ungarn glaubten, Kaiser Leopold I. (1658—1705) habe bei Ab­schluß des Friedens von Vasvár einzig die Interessen seiner Erblande und des Reiches im Auge gehabt, Ungarn jedoch preisgegeben. Man verwies auf die ungarische Verfassung, d. h. die Freiheitsrechte der „Goldenen Bulle“ von 1222, die der König vor seiner Krönung, 1656, angenommen, sanktioniert und beschworen habe. Darin heißt es: „Seine Majestät der König soll sich bei den Ungarn Rates erholen, gleichviel ob vom Frieden oder vom Waffenstillstand gehandelt wird“ 5). Der Unmut verbreitete sich insbesondere unter den führenden Magna­ten, den beiden Zrínyi, dem Palatin Franz Wesselényi, dem Kar­dinal-Fürstprimas Georg L i p p a y. Tatsächlich hatte Leopold I. das bei Regierungsantritt abgelegte Gelöbnis, „die Angelegenheiten des König­reiches Ungarn durch die Ungarn besprechen zu lassen“ 6), verletzt. Aber hatten die ungarischen Stände nicht auch ihr Gelöbnis verletzt, ihrem König mit Rat und Tat beizustehen? Mit den „gravamina“ protestantischer Stände und den Klagen über deutsche Besatzungen läßt sich das nicht völlig entschuldigen, wenn dies auch Béla O b á 1 in seiner „Religionspolitik in Ungarn nach dem Westfälischen Frieden“ (Halle a. S. 1910) etwas einseitig versucht. Erst am 4. September 1664 war die Generalinsurrektion ausgerufen worden. Sie kam zu spät. Bei St. Gotthard hatte kein ungari­5) Vgl. Cornelius (Korneli). In der „Goldenen Bulle“ König Andreas II. von 1222 findet sich das „ius resistendi“ der Stände des Königreiches — von der kaiserlichen Seite eher „ius insurrectionis“ oder „ius rebel­landi“ genannt — im letzten Absatz (Art. 31). Anläßlich der Krönung Josephs I. vom 9. Dezember 1687 — nach der Befreiung Ungarns von den Tür­ken —• entfiel (für immer) bei der Beschwörung dieses Grundgesetzes Ungarns durch den neuen Herrscher diese so oft mißbräuchlich ausgelegte und ange­wandte Klausel. Sie lautet — und zwar im Hinblick darauf, daß der König unter den zugestandenen Privilegien sich auch zur territorialen Unveräußerlich­keit von Landesteilen, wenn nicht nach Befragen der Stände erlaubt! — ver­pflichtet hatte (:Item possessiones extra regnum non conferantur __) :„Quod s i vero nos vel aliquis successorum nostrorum ... contraire voluerit [bezieht sich auf eine etwaige Verletzung der zugestandenen Privilegien], liberam habeant harum autoritate, sine nota alicuius infidelitatis, tam episcopi, quam alii iobagiones ac nobiles regni, universi et singuli, praesentes et futuri posterique resistendi et contradicendi nobis et nostris successoribus in perpetuum facul­tatem“. Dieser 31. Artikel bildet zugleich das Ende der Urkunde, worauf das Datum (1222) und die Unterschrift von sieben ungarischen Bischöfen folgt. Vgl. Karl Schober, Quellenbuch zur Gesch. d. Österr.-Ungar. Monarchie, Wien 1886, I, 257. Cornelius (Korneli) J., Fragmenta historiae Hungáriáé. 1663—78. Cassoviae 1680, I, 327. 6) Cornelius, I, 328.

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