Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß

452 Robert A. Kann des Kaisers auf sich zu nehmen75). Von diesen Auffassungen vertritt die eine die Tradition der Habsburgischen Monarchie, die andere die Prin­zipien des Verfassungsstaates. Diese beiden sind im allgemeinen gewiß nicht unvereinbar, in diesem besonderen Falle prallen sie aber schroff auf einander und nur ein persönliches Werturteil kann hier entscheiden. Meiner Auffassung nach ist es nicht nötig, ein solches anzurufen. Wie eingangs berührt und von mir in anderem Zusammenhänge näher aus­geführt, hat das Versagen der diplomatischen Diskretion und die Verleugnung gegebener Verhandlungstatsachen auf österreichischer Seite dazu geführt, das Vertrauen in die Monarchie als höchst streng vertrau­lichen Verhandlungspartner im Lager der Westmächte entscheidend zu erschüttern. Die zugegebenermaßen geringen Aussichten1, daß die führenden Westmächte anstatt der Auslandsemigration der späteren Sukzessions­staaten nunmehr freie Bahn zu lassen, sich weiterhin um die Erhaltung Österreich-Ungarns bemühen könnten, waren endgültig zerstört76). Der entscheidende Vertrauensbruch wurde aber dem Kaiser nicht nur als Regenten, sondern vor allem als Sinnbild der Monarchie zur Last gelegt. Hätte hier ein Minister die Verantwortung auf sich ge­nommen, so wäre die Monarchie in den Augen der führenden westlichen Staatsmänner — vielleicht — nicht im selben Maße involviert und inkul- piert erschienen. Ein dünner Rettungsfaden wäre möglicherweise noch nicht ganz abgeschnitten gewesen77 78). Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, die persönlichen Motive zu erörtern, aus denen heraus Czernin diese Verantwortung hätte auf sich nehmen können — in Anbetracht der ungewissen Lage aber wohl kaum hätte müssen. Nur soviel zum Abschluß. Sein Sprung in den Abgrund — die moralische Selbstvernichtung angesichts Freund und Feind — wäre nicht notwendigerweise sinnlos gewesen. 75) Siehe auch R. F. Schlesinger, in einer Polemik gegen meinen früher zitierten Artikel Count Ottokar Czernin and Archduke Francis Ferdinand, im Journal for Central European Affairs, Bd. XVI, 4. Jänner 1957, 397 ff. 78) Siehe in diesem Zusammenhang auch V. S. Mamatey, a. a. 0., 256 ff. 77) Dieser Gedankengang wird auch bei R. Lorenz, a. a. O. 456, kurz be­rührt. Die Auffassung von A. Demblin, a. a. O. 23 ff., daß es sich bei der Sixtus­affäre um einen „kaiserlichen Privatakt“ handelte, wonach eine Verantwort­lichkeitserklärung Czernins die Situation nur verschlechtert hätte, ist nicht überzeugend. Wie beklagenswert mangelhaft immer Czernin über die Affäre informiert war, sobald er auch nur teilweise im Bilde war und das war er unbestrittenermaßen, konnte man nicht von einer Privataktion sprechen.

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