Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
PÁSZTOR, Lajos: Die ungarischen Katholiken und der Erste Weltkrieg
396 Lajos Pásztor Um die Reaktion der katholischen Ungarn beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges entsprechend verstehen und beurteilen zu können, ist es unerläßlich, sich vor Augen zu halten, daß die Beziehungen zwischen Ungarn und Serbien seit vielen Jahren sehr gespannt waren. Ungarn, wie auch viele andere Länder Europas, trug schon seit Jahren das enorme Gewicht einer ständigen militärischen Rüstung. Trotzdem wollten die Ungarn den Krieg vermeiden, selbst nach dem Attentat von Sarajewo. Im Parlament beschuldigte die Opposition — unter Teilnahme vieler katholischer Politiker — wiederholt die Regierung Tiszas einer falschen Außenpolitik; einerseits, weil er der anti-ungarischen Politik der serbischen Regierung nicht mit entsprechendem Ernst entgegen gearbeitet, und andererseits, weil er die ständige Abnahme der für Ungarn eingenommenen Serben und Kroaten auf ungarischem Gebiet nicht verhindert hätte. Es ist daher zu unterstreichen, daß sich die Beschuldigungen nicht gegen die Unterlassung einer Waffentat gegen Serbien wandten, sondern sowohl gegen die Unterlassung einer weitschauenden Politik, geeignet, auch die kroatischen und serbischen Untertanen des ungarischen Staates zu befriedigen, als auch gegen das Fehlen eines festen Willens, mit der serbischen Regierung zu einer definitiven Klarheit zu gelangen. Und auch in der kurzen Zeit zwischen dem Geschehen von Sarajevo und der Kriegserklärung versuchte man im Parlament der unerträglichen Lage zwischen den beiden Staaten ein Ende zu setzen, ohne — außer im Falle äußerster Notwendigkeit — zu den Waffen zu greifen 7). Als der Krieg ausbrach, waren die Vertreter der verschiedenen Parteien, sowohl im Parlament als auch außerhalb, sich vollkommen einig, ihn als einen Verteidigungskrieg zu betrachten und daher mit vollen Kräften führen zu wollen. „Wir treten nicht in das Feld des Angriffes, sondern wir erfüllen eine elementare Pflicht der Verteidigung“, sagte der katholische Graf Apponyi im Parlament am 28. Juli 1914 8). Der Krieg ebnete die ideellen, politischen und sozialen Gegensätze, welche die Nation spalteten; es hörten die inneren Kämpfe auf9) und in einem anscheinend entspannenden Klima waren alle Parteien, inbegriffen diejenige der linken — in deren Reihen antimilitaristische oder pazifistische Töne absolut fehlten 10) — darin einig, den Krieg zu führen. Zu dieser allgemeinen Zustimmung trug wohl sicher die Ansicht bei, daß der Konflikt bald beendet sein werde. 7) Vgl. K. N„ Bd. XXV, S. 124—126, 331—333, 338—340; Bd. XXVI, S. 88—89. s) Ebenda Bd. XXVI, S. 192. — Vgl. auch A. Apponyi, A mi háborúnk (Unser Krieg), in „M. K.“, 1914, Nr. 13 (5. September), S. 4—8. 9) Vgl. J. Csemoch, Egyház és háború (Die Kirche und der Krieg), in „Hadi Beszédek“, Nr. 2, Budapest, 1915, S. 11—12. 10) Vgl. z. B. die Intervention M. Károlyis im Abgeordnetenhaus, am 30. November 1914, in K. N., Bd. XXVI, S. 209—210.