Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
SUTTER, Berthold: Erzherzog Johanns Kritik an Österreich
Erzherzog Johanns Kritik an Österreich 175 blick auf die Ungarn aussprach, befürchtete Erzherzog Johann für die gesamte Monarchie und die Situation des Kaisertums unter dem alten Kaiser Franz I. ist sehr ähnlich dann mit jener der österreichisch-ungarischen Monarchie unter dem alten Kaiser Franz Joseph I. Auch der Enkel Franz I. hat durch seine Persönlichkeit die divergierenden und zentrifugalen Kräfte, die am Werke waren, doch noch immer wieder Zusammenhalten können. Franz I. war, nach dem Worte Grillparzers, „dieses Band, das die Garben bindet“. Erschütternd ist ein im Tagebuch Erzherzog Johanns unter dem 30. Juli 1811 wörtlich wiedergegebenes Gespräch mit dem Kronprinzen Erzherzog Ferdinand, der völlig „gehaltlose“ Fragen stellte, die den Erzherzog „aus der Fassung“ brachten23). Besonders grell beleuchtet die Situation die Tagebucheintragung vom Sylvestertag des Jahres 1817: „ ... so sah ich alle Kinder des Kaisers, dann den Kleinen von Napoleon, ein lieber Knabe voll Verstand und Seele. Da ist große Hoffnung und wie sticht dieser gegen den Kronprinzen ab! So oft ich diesen sehe, so oft überfällt mich ein schmerzliches Gefühl, wie unglücklich ist darinnen mein Kaiser. Er sieht in jenem seinen Nachfolger, der ganz unfähig zum Regieren ist, schwach an Körper, im Geist, letzteres äußerst grell, so daß es oft zum Verzweifeln ist, giebt er gar keine Hoffnung. Er wird, wenn er zum Regieren kommen sollte, der Spielball gemeiner Leute werden, wohin er sich am meisten neiget; denn seine liebste Gesellschaft ist ihm jene seiner Lakayen. Leider kennt ihn so die ganze Welt. So fanden ihm die Monarchen bey dem Kongress. Den einen, die sich gerne an Österreich anschliessen würden, nimmt er alle Hoffnungen, da sie für die Zukunft so viel Ungewisses voraussehen, andere bauen ihre Hoffnungen, da gute Geschäfte zu Vergrösserungen zu machen. So stehet es leider. Gott kann wieder allen helfen.“ Auch Erzherzog Johann ist der Ansicht, daß an den habsburgischen Hausgesetzen wegen Ferdinand nichts geändert werden dürfe, aber er 23 ) 25 Jahre später, am 14. Februar 1836, schrieb der Erzherzog über Kaiser Ferdinand I. in sein Tagebuch: „Was soll ich den Kaiser betreffend sagen? Seine Gesundheit hat seit der Reise von Prag keinen Anstoß mehr bekommen, er giebt Audienzen —/ betreibt die Geschäfte, unterschreibt alles —!“ — Nicht minder erschütternd ist Erzherzog Johanns Charakteristik der Gattin Ferdinands I., Maria Anna, Tochter König Viktor Emanuels I. von Sardinien: „Ich begleitete sie und dachte mir, ach hätte diese Frau mit ihrem trefflichen Gemüthe, mit ihrem festen Charakter, nur eine Erziehung erhalten und wäre sie zu einem Manne gekommen, fähig ihr die Ausbildung zu geben, was wäre diese für eine Frau. Aber beydes mangelte vollkommen, und so sind dafür Ansichten eingetreten, welche man nur bey Narren findet, und eine gänzliche Unkenntnis der Welt, der Verhältnisse derselben, des menschlichen Geistes und seiner Fortschritte. So beschränkt sich alles auf finstere Begriffe und sie wandelt in einem Irrgarten von Skrupeln, aus welchen sie sich zu retten nicht vermag.“ (Tagebuch vom 2. September 1844).