Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
WAGNER, Georg: Der Wiener Hof, Ludwig XIV. und die Anfänge der Magnatenverschwörung 1664/65
146 Georg Wagner Monolithen asiatischer Despotie bestand, Mitteleuropa gerettet und die Entfaltung der herrlichen Barockkultur, das Zusammenwirken aller Künste ad maiorem Dei gloriam, abgeschirmt und damit ermöglicht wurde. Charles de Secondat Baron de Labréde et de Montesquieu stellte in „De l’Esprit des Lois“ ul) fest: „Bei den Türken, wo die drei Gewalten in der Person des Sultans vereinigt sind, herrscht fürchterlicher Despotismus.“ * 112) Es war ein Despotismus, der sich auch in dem „staatserhaltenden“ Gesetz des Brudermordes bei Thronbesteigung eines Sultans — zur Hintanhaltung von Thronwirren — manifestierte, sowie in jenen etwa 35 000 Opponenten, die Großwesir Mohammed Köprülü (1656—1661) zumeist nachts abholen und erwürgen oder ertränken ließ (in Istanbul vor allem) — wie Hammer-Purgstall (VI) an Hand von Quellen bezeugt. Damit ein solches Gesetz, — unter dem, immerhin und trotzdem, stellenweise die orientalische, islamische Kultur blühte — nicht in Europa heimisch werde, es denaturiere, sein Gesetz von Freiheit und Menschenwürde — das ungeachtet einzelner despotischer Sündenfälle, wie z. B. des „allerchristlichsten Türken“ galt — auslösche, dafür vergossen Offiziere und Soldaten aus fast allen Hauptnationen Europas an der Raab ihr Blut. Dafür kämpften die „Herren Frey willigen der Christenheit“. Und deshalb ergab sich auch kurzfristig eine Art Integration fremdnationaler Generalstabsoffiziere. Und dies soll unvergessen sein. Obwohl diese christeuropäische Aktion damals in einer Zeit des naturwissenschaftlich-mathematischen Machtrationalismus und der „Krise europäischen Geistes“ (Paul Hazard) alsbald fast ,mittelalterlich veraltet“ erschien, so war sie im Grunde doch ein Vorzeichen des späterhin Kommenden, Neuen, der europäischen Einheit in der Vielfalt, die heute doch voranschreitet und umsomehr gedeihen wird, wenn sie gleichzeitig ihr Bestes an eine unteilbare Welt abgibt: die echt evangelische helfende Liebe, den interdepen- denten Pluralismus des Geistes, den gewissenhaften Personalismus, das Streben nach dem Ausgleich von Zentralismus und Föderalismus. Immer wieder haben sich die europäischen Hauptnationen seit 1492, einander abwechselnd und in egoistischem Ausspielen der kleinen aufbegehrenden Nationen, an dem Geiste der europäischen Bruderschaft versündigt. „Divisio“ und „propria voluntas“ im Vorrangstreit stellten schon die Hauptsünden der Kreuzfahrernationen dar, wie ihre Chronisten im 13. Jahrhundert bereits klagten. Sie waren nun alle an der Reihe. Die Zeit war gekommen, da nur eines zählt: conjunctis consiliis — unitis viribus — und zwar mit Unwiderruflichkeit! Das ist die Lehre des Tages von St. Gotthard, eines europäischen Tages. m) XI, cap. VI, in Genf erschienen 1748! 112) Vgl. über das Verhältnis zwischen Mitteleuropa und der Pforte insbesondere Rudolf Neck: Österreich und die Osmanen, MÖStA, 10. Bd., 1957, S. 434—468. Informiert über Stand und Probleme der diesbezüglichen historischen Forschung unter Angabe jüngster Literatur.