Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 15. (1962)

NECK, Rudolf: Kriegszielpolitik im Ersten Weltkrieg (Zu den Auseinandersetzungen um das Werk von Fritz Fischer „Griff nach der Weltmacht“)

Literaturberichte 575 einer Studie über den polnischen Grenzstreifen aus der Feder eines Schü­lers von Fischer22). I. Geiss behandelt hier die Annexionspläne entlang der alten Reichsgrenze im Osten im Zusammenhang mit der preußischen Ostmarkenpolitik. Die Aufdeckung von gewissen, im Vergleich mit späteren Vorgängen gemäßigten Aussiedlungsplänen, hat aus durchsichtigen politi­schen Motiven zu einer förmlichen Kampagne gegen das Buch geführt23). Der prominenteste Kritiker der Arbeit von Geiss ist auch einer der ersten Streiter im Kampfe gegen das große Werk Fischers. Erwin Hölzle hatte im zweiten Weltkrieg Zugang zu den französischen Akten gehabt und konnte damals und in der Folge die Ergebnisse dieser Aktenstudien vorlegen24). Was er dabei bisher über die Kriegsziele der westlichen Alliierten vorlegen konnte, bleibt weit hinter der Verstiegenheit und Maß­losigkeit der deutschen Pläne zurück. Dies ließ sich von vornherein erwar­ten, wenn man den naheliegenden Vergleich zieht zwischen den Friedens­schlüssen von Versailles und Brest Litowsk25). Die Kriegsziele der Alliier­ten konnten auf keinen Fall so gigantische Ausmaße annehmen wie die der Deutschen, weil im Lager der Westmächte die Bündnispartner ziemlich gleich stark waren, während auf Seiten der Mittelmächte das Deutsche Reich dominierte und im Siegesfall auch gegenüber den eigenen Verbün­deten alles erzwingen konnte. Die Kritik Hölzles am Buch Fischers ist weniger ihres sachlichen Gehalts als wegen ihres Tons bemerkenswert26). Ernster zu nehmen sind die Einwände von Gerhard Ritter. Er selbst hat sich in vielen Studien mit der Geschichte des Militarismus ausein­andergesetzt und immer den Gegensatz der politischen zur militärischen Leitung hervorgehoben27). Auch die Arbeiten seiner hervorragendsten Irrtums. Zum Problem der deutschen Kriegszielpolitik im ersten Weltkrieg (ebd. S. 83 ff.). 22) Immanuel Geiss, Der polnische Grenzstreifen 1914—1918. Ein Beitrag zur deutschen Kriegszielpolitik im Ersten Weltkrieg. (Historische Studien, Heft 378). Hamburg 1960. Geiss kommt zu wesentlich anderen Ergebnissen als Werner Conze, Polnische Nation und deutsche Politik im ersten Weltkrieg. (Ost­mitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart 4). Köln 1958. 23) Vgl. Heinz Günther, Keine Polenvertreibung im Ersten Weltkrieg (Außenpolitik 12. Jg. 1961, S. 600 ff.); Horst Jablonowski (GWU. 12, 1961, S. 448), Geiss (ebd. 13. Jg., 1962, S. 32 ff.) und Jablonowski (ebd. S. 39 ff.); Erwin Hölzle (Jahrbücher f. Geschichte Osteuropas NF. 10, 1962, S. 146 ff.). Herzfeld (HZ. 194, 1962, S. 429 ff.) nimmt der vorangegangenen Polemik die Schärfe, bleibt aber kritisch. Vgl. die positiven Rezensionen von H. W. Gatzke (JMH. 34, 1962, S. 216 f.) und P. S. Wandycz (Journal of Central Europ. Aff. 21, 1961—62, S. 231 ff.). Schließlich Geiss im Monat, 15. Jg., Dez. 1962, Heft 171, S. 58 ff. 24) Erwin Hölzle, Der Osten im Ersten Weltkrieg. Leipzig 1944, und Das Experiment des Friedens im Ersten Weltkrieg 1914—1917 (GWU. 17, 1962, S. 465 ff.). 25) Vgl. dazu Werner Hahlweg, Der Diktatfrieden von Brest-Litowsk 1918 und die bolschewistische Weltrevolution. Münster 1960. 26) E. Hölzle (Das historisch-politische Buch 10, 1962, S. 65 ff.). 27) Ich nenne hier nur die Hauptwerke: G. Ritter, Staatskunst und Kriegs­handwerk, bisher 2 Bde. München 1954 und 1960, und Der Schlieffenplan. Kritik eines Mythos, München 1956.

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