Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

WOHLGEMUTH-KOTASEK, Edith: Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise

544 Edith Wohlgemuth-Kotasek beneide niemand um Theater, Bastey, Redoute, Gesellschaften etc. etc. — lasse alle reden und denke mir, ich bedarf nicht wie Diogenes mit der La­terne herumzugehen, denn ich habe die Menschen gefunden. — Mein Auf­enthalt in jenen Thälern versöhnt mich immer mit den übrigen und ver­löschet die Eindrüke, welche das Verschrobene, Tükische der grossen Welt auf mich machen 58) ... und wäre es nicht um meines Kaisers willen, und der ist, weiß Gott, auch der einzige Beweggrund — so wäre ich ganz in Thernberg, käme im Winter alle Monathe auf acht Tage nach Wienn, auch oft auf weniger, und im Sommer alle drey Monathe auf ähnliche Zeit — denn ich finde hier nichts als Unruhe, kleinliche Leidenschaften, Verfall alter Redlichkeit und Sitten, Falschheit, die Waffe des Spottes und des Ridi- culs im höchsten Grade und ein ewiger Schwindel von elenden Vergnügun­gen, eine moralische und physische Luft, die mir nicht taugen, denn letztere bringt Nebel, ewigen Wind, Veränderlichkeit nach sich. Da lobe ich mir die Ruhe, die Stille auf dem Lande. Steets die grosse Natur vor Augen, der Geist ungestört in seinen Betrachtungen, erhoben durch grosse äussere Ein­drücke, der Körper gestärkt durch Mäßigkeit und die herrliche Luft, Was­ser, die Glieder gelenk erhalten durch die Bewegung. Einsam oder nicht, wie ich will, die Gesellschaft von mir gewählet, zahlftich oder nicht, Nah­rung für den Geist und ungestört im Arbeiten. Ein gutes Volk in den Ber­gen, die ich alle kenne, wechselseitig einander zugethan, Einfalt, Genügsam­keit und Redlichkeit — was will ich mehr — und für das Herz so häufigen Genuß durch das Gute — Lohn für das wenige Gute, was man thut, durch ungeheuchelte Dankbarkeit und den Erfolg — das giebt mir keine Haupt­stadt, nicht die grosse Welt. So kann man sich für künftige Zeiten rüstig an Geist und Körper seinem Herren und Vaterlande erhalten, was in der Stadt nicht möglich ist, den die erstickt alles im Schlamm der Welt“ 59). Die Liebe zu der von ihm erwählten Bergheimat war so überwältigend, daß sie nicht nur Johanns Lebensgewohnheiten bestimmte, sondern darüber hinaus zum Maßstab bei allen Überlegungen wurde, die gelegentlich um eine künftige Gefährtin kreisten. Es fehlte nicht an allerhöchsten Ver­suchen, Johann zu verheiraten60), aber er ließ sich nicht einfallen, jemand dritten die Auslese zu überlassen: „Was mich betrifft, so sehe ich gut, daß wenn ich um eine Freu freyen würde, ich es selbst thun und so zu Werke gehen würde, keine abschlägige Antwort zu bekommen“ 61). Es machte ihm nichts aus, daß er als 37jähriger als Sonderling, als „Gebürgsbär“ 62) ver­schrien war. Um diese Zeit hatte Johann in witziger Form in einer „Ehe­dissertation“, wie er es nannte, Marie Louisen gegenüber verschiedene An­forderungen dargelegt, die er an eine Frau stellen würde. Es ist nicht zu verkennen, daß ihn ernste Zweifel bewegten, ob er je eine so gehtüchtige 58) Nr. 22 vom 27. 11. 1817. 59) Nr. 26 vom 22. 12. 1819. 60) Nr. 13 vom 21. 12. 1815 und Nr. 17 vom 7. 3. 1816. si) Nr. 26 vom 22. 12. 1819. es) Ibid.

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