Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

RUTKOWSKI, Ernst R.: Gustav Graf Kálnoky. Eine biographische Skizze

342 Ernst R. Rutkowski legenheit zu einer Kraftprobe gab. Es war nicht das erste Mal, daß Kálnoky eine von ungarischer Seite in illoyaler Weise versuchte Einflußnahme auf die Außenpolitik parieren mußte — er wahrte auch diesmal seinen Stand­punkt, legte jedoch gleichzeitig dem Kaiser sein Entlassungsgesuch vor. Es wurde abschlägig beschieden. Da die von beiden Seiten im Verlaufe der folgenden 10 Tage unternommenen Schritte zu keiner Lösung der Krise führten, erneuerte Kálnoky sein Demissionsgesuch. Die Annahme desselben am 16. Mai 1895 stellte ein Nachgeben der Krone gegenüber dem Kabinett Bánffy dar, ein Nachgeben einem ungarischen Politiker gegenüber, der 10 Jahre später die Umwandlung der dualistischen Staatsform zu einer Per­sonalunion zum Programm seiner Partei machen sollte. Diese Haltung des Kaisers ist nur aus seiner seit 1867 Ungarn gegenüber verfolgten Politik erklärlich. Mit Recht hatte Kálnoky in seinem ersten Demissionsgesuch darauf hin­gewiesen, daß er „die äußere Politik der Monarchie geordnet hinterlasse" ; er hatte in der Tat Österreich-Ungarn eine Stellung im Kreise der Groß­mächte geschaffen, die man zwar nicht als führend bezeichnen darf, der aber doch — ganz im Einklang mit seiner Persönlichkeit — eine unmerk­liche, unauffällige Dominanz innewohnte. Überblickt man die 13‘/£ Jahre seiner Tätigkeit als Außenminister, so muß gesagt werden, daß er, ohne sich selbst irgendwie in den Mittelpunkt zu stellen, durch Klugheit, Mäßi­gung und Ausdauer bedeutende Leistungen vollbracht hat. Keiner seiner Nachfolger hat die Höhe seines Könnens erreicht. Nach seinem Rücktritt zog sich Kálnoky auf sein Gut Prödlitz in Mähren zurück, das er durch viele Jahre mit Kunstsinn und feinem Ge­schmack ausgestattet hatte. Mehrere Reisen führten ihn in den nächsten Jahren nach Italien, doch in Wien verweilte er nie längere Zeit. Er war bei Hofe und in den Kreisen der österreichischen Hocharistokratie wohl infolge seines reservierten Wesens nie recht heimisch geworden, und er drängte sich nicht zu Ämtern, die sonst für entlassene Minister zur Verfügung standen. Mehrmals hatte er mit seinem Nachfolger, dem Grafen Goluchow- ski, und auch mit dem Kaiser Unterredungen politischen Charakters, doch bemühte er sich nie, irgendeine Einflußnahme auszuüben. Die außen- wie innenpolitische Entwicklung verfolgte er allerdings mit Aufmerksamkeit und nicht ohne Kritik. Am 13. Feber 1898 starb er unerwartet früh infolge einer Rippenfell­entzündung. In der Familiengruft in der Klosterkirche der Barmherzigen Brüder in Lettowitz fand er seine letzte Ruhestätte. Der Verfasser ist derzeit im Aufträge und unter Förderung der Kommission für neuere Geschichte Österreichs mit der Abfassung einer ausführlichen Bio­graphie des Ministers befaßt, mit der sich zwangsläufig die Darstellung der Außenpolitik Österreich-Ungarns in den Jahren 1881 bis 1895 verknüpft. Als Vorarbeiten hiefür erschienen in den Mitteilungen des österr. Staatsarchivs, 9. Bd. (1956): „Die revolutionäre Bewegung und die inneren Verhältnisse des

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