Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

RILL, Gerhard: Die Staatsräson der Kurie im Urteil eines Neustoizisten (1706)

Die Staatsräson der Kurie im Urteil eines Neustoizisten (1706) 321 nicht sensuell erstrebt werden soll, ist als höchstes Gut umso mehr mit Mäßigkeit zu besitzen, als der Wert jeden Gutes von der Mäßigkeit des Besitzens abhängig ist. Diese auf die virtus des Zitates abgestimmte religio ist also — mit Gregoras — für die Wertung eines Fürstenamtes nur dann maßgeblich, wenn (keineswegs nur akzidentiell) mores civiles und notitia eine Verbindung mit der (religiösen) virtus eingehen. Schon die Umschrei­bung der Mäßigkeit im Religiösen, abgeleitet aus der ratio, die als Maß­stab an eine vernunftlose, von blindem Machtstreben und Egoismus regierte Gruppe angelegt wird, läßt jenen Oberbegriff erschließen, der das zentrale Thema des Neustoizismus bildet und zugleich dem Hauptwerk dieser Strö­mung den Titel verliehen hat: die constantia. Es ist daher auch nicht überraschend, daß sich alle drei Zitate (Hilarius, Gellius, Gregoras) bei Justus Lipsius vorfinden und von Lamberg aus dieser Quelle übernommen wurden, — zwar nicht aus der „Constantia“ und auch nicht aus der ur­sprünglichen Fassung der „Politik“, jedoch aus den Notae der von Lipsius nach seiner Rückkehr zum Katholizismus seit 1593 in Löwen korrigierten und von der kirchlichen Zensur approbierten „Politik“ 15), Lipsius hatte das Gellius-Zitat schon in der Urfassung mit dem Vorbehalt: Placeat ille versus, sed saniter intellectus gebraucht16), in den Notae fügt er noch eine Erläuterung hinzu und schließt die Gr egoras-Worte an17). Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, daß Lamberg auch die nicht zensurierte „Politik“ und wohl auch die „Constantia“ kannte; der inhalt­lich fast isolierte Absatz der Denkschrift über die Verstöße der Kurie gegen die ratio ist dieserart leicht zu ergänzen. Ratio existiert im Sinne Lipsius’ nie ohne die Kontrolle durch virtus und iustitia, jeder Fürst, also auch der Papst als Herrscher und politischer Partner, ist an Recht und Gesetz gebunden; das richtet sich in gleicher Weise gegen Bodin wie gegen >5) über Lipsius und den Neustoizismus vgl. Wilhelm Dil they, Welt­anschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation (Ges. Schriften 2, Stuttgart I9606), 443 ff.; Franz Borkenau, Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild. Studien zur Geschichte der Philosophie der Manufakturperiode (Schriften des Instituts für Sozialforschung 4, Paris 1934) 180 ff.; Jason Lewis Saunders, Justus Lipsius (New York 1955), und Gerhard Oestreich, Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaates (Hist. Zeitschrift 181, 1956) 31—78 auch für das Folgende. — In den Varianten des Hilariuszitates und in der Übersetzung des Gregoras ins Lateinische folgt Lamberg wörtlich Lipsius: Notae ad Pol. I 2 (p. 113 D2) und I 3 (p. 114 D2); die beiden Hauptschriften „De Constantia libri duo“ und „Poli­ticorum sive civilis doctrinae libri sex“ sind hier benützt im zweiten Band der in Lyon 1613 erschienenen Ausgabe. 16) Pol. I 3 (p. 47 A 2); in gleichem Sinne Pol. I 2 (p. 47 B-C2), II 15 (p. 57 C 1). 17) Mens prisco huic versui, religionem cum modo habendam, ut omnia bona, quae talia esse desinunt, si ille absit. Nam religiosum prisci dicebant in vitio et cum copia quadam immodica, ut mulierosum, vinosum . . . (p. 114 C 2). Cf. Gel­li u s 1. c. Mitteilungen, Band 14 21

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