Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 13. (1960)

KANN, Robert A.: Erzherzog Franz Ferdinand und die österreichischen Deutschen. Dokumente aus den Nachlässen Franz Ferdinand, Baernreither und Schiessl

Erzherzog Franz Ferdinand und die österreichischen Deutschen 397 kritischen Zeit, zwischen 1903 und 1913 bis zu seiner Ernennung zum Gesandten in Bukarest, außerhalb der erzherzoglichen Militärkanzlei der Hauptberater des Thronfolgers in Angelegenheiten des böhmischen Aus­gleichs. Das durchgehende Thema der Czerninschen Ratschläge, so insbeson­dere der Memoranden vom Jänner 1908, Februar 1909, Jänner und Juli 1910, ist die Lösung der böhmischen Frage vorzugsweise durch Oktroi und nicht durch parlamentarischen Kompromiß, zumindest aber innerhalb des Rahmens des böhmischen Landtags durch Initiative von seiten der Krone und des deutschen und tschechischen Großgrundbesitzes, d. h. vorwiegend des Hochadels. Czernin ist bereit, die allgemeine Doppelsprachigkeit in den gemischtsprachigen Kronländern zu gewähren, sofern — und dies ist eine gewaltige Einschränkung -— die deutsche Sprache als staatliche Vermitt­lungssprache für das ganze cisleithanische Österreich und als Geschäfts­sprache für ein zu schaffendes Reichsparlament gesetzlich anerkannt wird. Das sogenannte „supranationale Programm“ wird auch von einem andern hervorragenden Vertrauensmann des Erzherzogs unter den verfassungs­treuen Großgrundbesitzern im Landtag, dem nachmaligen Ministerpräsi­denten Grafen Heinrich Clam-Martinic, unterstützt. Jedenfalls aber wird die Idee des böhmischen Ausgleichs selbst der allgemeinen verfassungs­rechtlichen Regelung der Sprachenfrage, dem einheitsstaatlichen Programm in Verbindung mit verstärkten Prärogativen der Krone, untergeordnet. Gewiß kann man ganz allgemein gesprochen, die Ansichten des Erz­herzogs durchaus nicht ohne weiters mit den in den Czerninschen Memoran­den und Briefen zum Ausdruck gebrachten identifizieren, doch entsprechen Czernins Anschauungen gerade in der böhmischen Frage viel mehr als in anderen den Grundauffassungen des Erzherzogs, wie sie vielfach in den im Nachlaß erliegenden Entwürfen des künftigen Regierungsprogramms her­vortreten. Weiters ist festzuhalten, daß die Abfassung von mehreren der Czerninschen Memoranden vom Erzherzog verlangt wurde, daß der Um­schlag jenes vom Februar 1909 in der Handschrift des Erzherzogs die Auf­schrift trägt „Vorschläge für Kaiser s. gut“, daß Czernins böhmische Pläne weitgehend mit denen des Grafen Clam-Martinic übereinstimmten, und daß der Thronfolger Czernin aufgefordert hat, ein Memorandum Baernreithers zum gleichen Gegenstand gewissermaßen als besonderer Fachmann zu kom­mentieren 6 * 8). 6) Für eine zusammenfassende Untersuchung der Beziehungen zwischen dem Erzherzog und Czernin siehe R. A. Kann, Count Ottokar Czernin and Archduke Francis Ferdinand, Journal of Central European Affairs, vol. XVI/V, Juli 1956, 117—45; siehe hier insbesondere in Bezug auf den böhmischen Ausgleich 122—26, 129—32. Die zitierten Memoranden und Briefe Czernins befinden sich im Nach­laß F.F., Fasz. 12 und 13, das Memorandum von Clam-Martinic vom 20. I. 1910 in Fasz. 12, das von Baernreither vom November 1908 mit Anmerkungen von Czernin in Nachlaß V/l, Denkschriften, das Regierungsprogramm, welches die Kodifizierung der deutschen Staatssprache für Österreich vorsieht, in Nachlaß I d; siehe auch Sosnosky, opus cit. 78—105.

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