Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)
ROEMHELD, Friedrich: Konstantin Reitz. Ein vergessener Vorkämpfer für abendländische Kultur in Afrika
Kunstantin Reitz 311 schäftigten sie sich mit der Regierung, in Kriegszeiten befehligten sie die ihnen anvertrauten Truppenteile. Deshalb konnte man Regierungs- und Militärbeamte kaum von einander trennen. Die Amtswohnungen des Provinzgouverneurs und des Generalgouverneurs, die letztgenannte im östlichen Teil der Stadt dicht am Blauen Fluß gelegen, waren neben einem Lazarett, einer Kaserne29), einem Pulvermagazin, der Moschee und dem Basar die einzigen öffentlichen Gebäude Khartums, wozu noch eine koptische und eine katholische Kapelle und die christliche Schule kamen. Die Bewohner setzten sich zusammen aus Türken, Europäern, Griechen, Juden, Ägyptern, Nubiern, Sudanesen, Abessiniern, Gallas und vier oder fünf verschiedenen Negervölkern. Unter den Gewerben der Sudanesen stand der Handel obenan. Er war, der überaus günstigen Lage der Stadt entsprechend, recht bedeutend. Das rasche Aufblühen Khartums war ohne Zweifel nur seinem Handel zuzuschreiben, sein Basar war das reichste Warenlager Zentralafrikas. Nächst dem Handel nahm der Ackerbau die erste Stelle ein. Das Klima Khartums bezeichnet Brehm als eines der ungesündesten der Erde. Die Umgangssprachen der Europäer waren Französisch und Italienisch. Die Europäer Khartums bildeten notgedrungen gleichsam eine große Familie. Fast jeden Abend kamen sie irgendwo zusammen, um sich zu unterhalten, zu rauchen und Branntwein zu trinken. Sehr aufschlußreich ist die Schilderung, die Brehm von ihnen entwirft: „Der Europäer Khartums“, schreibt er, „erscheint dem neu Angekommenen als ein höchst liebenswürdiger Mensch. Er macht ihm die glänzendsten, freundlichsten Anerbietungen, ist gastfrei und zuvorkommend, aber bald bemerkt man, daß das, was ihn leitete, nur berechnender Egoismus war. Die fröhliche Abendgesellschaft ist bei Tage nicht wieder zu erkennen. Wenn wir einen tieferen Blick in das Innere eines europäischen Hauses werfen, lernen wir den Europäer erst beurteilen. Wir sehen die innere Zerrissenheit des uns so fest scheinenden Verbandes, wir entdecken die Gesetzlosigkeit, in welcher er lebt, wir bemerken, daß er der Abschaum seiner Nation ist, wir werden mit Entsetzen gewahr, daß die ganze europäische Gesellschaft fast ohne Ausnahme aus Schurken, Betrügern, Gaunern, Mördern zusammengesetzt ist ... Der Sklavenhandel ist in ihren Augen ein ganz unschuldiges Gewerbe, die Vielweiberei erregt keinen Anstoß. Was ihren Begierden zusagt, was ihren Wünschen schmeichelt, erscheint ihnen recht und billig.“ Man kann nicht behaupten, daß die Umgebung, in die sich Reitz nunmehr hineinversetzt sah, daß die Stadt, das Land, die Menschen viel Verlockendes gehabt hätten für einen jungen Deutschen, der nicht gerade zu der von Brehm geschilderten Klasse von Europäern gehörte. Und doch sollte er hier finden, was er brauchte und wonach er sich seit Jahren ge2») „Von beiden Instituten ist nichts bemerkenswerter als die Unreinlieh- keit, welche namentlich die übelriechenden, erstickend dumpfigen, schmutzigen Räume des Spitals zu den schrecklichsten aller Schrecken macht“; vgl. von Müller, Fliegende Bl., S. 81.