Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

HRAZKY, Josef: Die Persönlichkeit der Infantin Isabella von Parma

178 Josef Hrazky mit Spott, Witz und Persiflage schlagfertig pariert. In der von Ironie funkelnden Skizze ihrer Selbstbiographie „Aventures de l’Etour- derie“ sehen wir die kleine Prinzessin sieh zunächst körperlich schranken­los austoben, so daß kein Bub es hätte ärger treiben können, und wie sie selber sagte, nichts vor ihr sicher war. Aber ihr sportlicher Ehrgeiz ist mit allen möglichen Leibes-Übungen nicht zu befriedigen, sie beginnt zu konstruieren. In einem Zeitalter, das die Virtuosität in der Mechanik bis zum Automatenbau treibt, will sie sich ein Pferd bauen, das auf den Zug einer Leine mit allerlei Volten reagiert. Herzog Albert bestätigt, daß sie ihre Handwerker, Tischler und Schreiner, mit immer neuen Ideen beschäftigte. Das war die nach außen gekehrte Seite ihres Wesens, die mit­unter geradezu gaminhaft anmutete und den Eindruck eines grenzenlosen Übermutes erweckte. Sie wird wohl in den Kinderjahren vorgeherrscht haben. Später, sicher um die beginnende Reife, tritt der andere Pol ihrer Eigen­art immer stärker hervor: die Reflexion. Ein frühes Zeugnis, wahrschein­lich die älteste erhaltene Aufzeichnung von ihrer Hand, ist der Aufsatz: „Reflections faites dans la solitude“. Wohl das einzige, was in ihrem Nach­laß auf die Zeit in Colorno zurückgeht, wenn wir von den Stellen aus Ge­dichten und Liedern absehen, die sie sich, wenn sie ihr gefielen, wie jedes junge Mädchen gerne absöhrieb. Wir sehen sie in diesem Aufsatz unter Gespielinnen, die sie als sehr verschieden empfindet und in ihren Gegen­sätzen studiert. Nachdenklich schüttelt sie den Kopf darüber, daß die eine weint, wenn sie aufs Land soll, während die andere über diese Veränderung jubelt. Doch macht sie bei der Verwunderung nicht halt, daß Schwestern sich so sehr unterscheiden können, sondern reflektiert weiter, daß es der gleiche Anlaß ist, der bei zwei Menschen entgegengesetzte Reaktionen hervorruft. Sie spürt darin ein Grundgesetz des menschlichen Daseins: „Glück“ und „Unglück“ sind relative und nicht absolute Werte, es sind, wie sie sich ausdrückt, „des etres chimeriques“, Wahngebilde, Nonentitäten. Und nun sucht sie weiter, ob es nicht doch ein absolutes Glück und Unglück geben könnte, das von individuellen Erlebnissen und Nebenumständen nicht ab­hängt, und findet es im sittlichen Bereich. Das Bewußtsein erfüllter Pflicht ist das einzige „wahre“ Glück, Gewissenspein das einzige „wahre“ Un­glück. Und überwältigend bricht aus dem jungen Geschöpf, das Versailles erlebt hat, die Sehnsucht nach dem Echten und Wahren hervor. Es ist der Ausbruch aus der Welt des Rokoko, der sie, weit ihrer Zeit voran, in die Nähe Rousseaus gelangen läßt, von dem sie mindestens „Julie, ou La Nou- velle Héloise“ gelesen hat, deren Charakter ihr als seelenverwandt erschei­nen mußte. Freilich ist sie meilenfern von genußvollem Schwelgen in den eigenen Gefühlen, von gerührtem Auskosten der Empfindungen, die die Natur in ihr erweckt, es ist nichts Morbides in ihr und keine Sentimentalität, eher männliche Entschiedenheit und Selbstbeherrschung. Nüchtern konstatiert

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