Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)
CORETH, Anna: Das Schicksal des k. k. Kabinettsarchivs seit 1945
Rezensionen 591 „Häuser“, ungefähr 80 an Zahl, die im alten Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation regierend waren und dann in ihrer Mehrheit im Jahre 1806 ihre Landeshoheit verloren. Ihre Stellung — eine Sonderstellung war es — gründete sich auf Artikel XIV der Bundesakte von 1815, der ihnen soziale und politische Vorrechte gewährte — so wie Ebenbürtigkeit mit den regierenden Familien, erbliche erste Landstandschaft in den ersten Kammern ihrer Staaten, Freiheit von Militärpflicht und Einquartierung in den Residenzen —, die sie sich zum Teil bis 1918 bewahrten. Die Standesherren, in anderen Worten, stellten eine Gruppe innerhalb der deutschen Führungsschicht dar, die zugleich deklassiert und privilegiert war. Deklassiert war sie im Verhältnis zu den regierenden Häusern, die die napoleonische Zeit als solche überlebt hatten. Da Artikel XIV, wie das wohl ganz natürlich ist, zu verschiedenen Auslegungen Anlaß gab und in den verschiedenen Bundesländern anders gehandhabt wurde, ergibt sich natürlich für die Stellung der Standesherren eine große Vielfältigkeit. In Österreich, wenn es dort auch zu gelegentlichen Reibungen zwischen den Mediatisierten und dem fran- zisco-josephinischen Beamtentum kam, fühlten sich jene doch bei allem Stolz auf ihre reichsunmittelbare Tradition durchaus als Magnaten des Habsburgerreiches. In Preußen kann man eher von einem regelrechten Verhältnis Krone — Standesherr sprechen, wenn auch Gollwitzer hervorhebt, daß dieses Verhältnis durch die Freizügigkeit der Krone charakterisiert war. Andererseits galt Württemberg lange als „purgatorio“ der Standesherren. — Privilegiert waren die Mediatisierten wiederum dem niederen Adel gegenüber, angefangen mit den sogenannten „Fürstenhäusern des niederen Adels“, also denen, die nie reichsunmittelbar waren. Die Unterscheidung zwischen den Fürstenhäusern des hohen und denen des niederen Adels gehört eben zu den Kuriosen der deutschen Adelsstruktur — im Englischen würde man von „wheels within wheels“ sprechen —; es war aber eine Unterscheidung, die von der Allgemeinheit kaum als solche anerkannt war. Für den durchschnittlichen Staatsbürger fing der hohe Adel titelmäßig beim Grafen an. Die Beziehungen zwischen dem hohen Adel und dem Bürgertum sind am wenigsten mit dem Begriff des Privileges abzutun. Sie stellten verschiedene Welten dar, die feudale und die kapitalistisch-industrielle. Und der Gegenstand dieses Buches ist, so schreibt Gollwitzer, „nicht die Existenz der Adelswelt vor, sondern ihr Weiterleben i n der modernen Welt“ aufzuzeigen. Viel ist im 19. Jahrhundert über den deutschen Adel gewettert worden. Nach dem Verdikt des nationalliberalen Theoretikers der Realpolitik Karl von Rochau zu schließen, war der Adel den Erfordernissen des neuen Zeitalters nicht gewachsen; verheerend war die Kritik des österreichischen Adels, die von Seiten des liberalen Professors Karl Menger und Kronprinz Rudolf kam. Gollwitzer als Historiker widmet sich weder der einseitigen Kritik noch der Apologetik, sondern dem Verstehen. „Es gilt, ruhig zu begreifen, während der homo oecono- micus und der homo technicus nur Untätigkeit, Unernst, Zeitvergeudung, Faulenzerei feststellen wollen.“ So ersteht auf Grund eingehender