Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Der Ministerrat und die kaiserlichen Verordnungen vom 18. und 23. April 1850

474 Erika Weinzierl-Fischer Thun erwiderte darauf, daß eine dafür erforderliche „umfassende wissenschaftliche Deduction des gesamten österreichischen Kirchenrechts“ doch wohl zu weit führen würde, und für viele Bestimmungen, deren Unhaltbarkeit man selbst erkennen müsse, auch gar nicht notwendig sei. Die Beschränkung der Verbindung mit Rom liege kaum mehr in der Macht der Regierung, die dagegen durch die Aufhebung „ein regeres Leben der Kirche“ bewirken und für Österreich ein einheitliches Kirchen­recht schaffen könnte. Außerdem werde der freiwillige Verzicht auf solche Beschränkungen „auch die Erreichung des Hauptzwecks bei einem dereinst abzuschließenden Concordate erleichtern“. Diesem Verzicht wollte aber nicht einmal der Innenminister, der von seinen Feinden später immer des ärgsten Klerikalismus beschuldigt wurde41), so ohne weiters zustimmen. Der Jurist Bach unterschied nämlich beim Placet „zwischen den für die Acte der Investitur vorbehaltenen Fällen, und jenen, welche bloß geistliche Angelegenheiten, Partheysachen, Dispensen etc. betreffen“. Er war daher „anfänglich der Meinung“, daß für die erste Kategorie „das Placet in Vorbehalt genommen werden müsse“, während man für die zweite die bisherige Zensur aufgeben und den freien Verkehr mit Rom bewilligen sollte. Dieser Ansicht schlossen sich Schwarzenberg und Schmerling an, die noch hinzufügten, „daß gegen allfällige Ausschreitungen bey der Korre­spondenz in geistlichen Dingen repressive Maßregeln in Anwendung ge­bracht werden könnten“. Schmerling gab dann noch zu bedenken, daß Italien überhaupt nicht und Ungarn nur sehr spärlich bei der Bischofs­versammlung vertreten gewesen wären, man aber die Bischöfe dieser Länder, die wichtige Bestandteile der Monarchie seien, doch auch um ihre Meinung befragen sollte. Schließlich wies Krauß auf die Unbestimmtheit des Ausdruckes „in geistlichen Dingen“ und auf die doppelte Stellung des Papstes als kirch­liches und weltliches Oberhaupt hin. Außerdem erörterte man theoretisch mögliche Fälle, in denen der Bischof eine kirchliche Ernennung wohl der Regierung bekanntgab, sich gleichzeitig aber auch mit dieser Angelegen­heit an die Kurie wandte. Alle diese Bedenken „schienen der Meinung des Ministers des Innern auch bezüglich des Placet bey Breven und Dispensen etc. eine andere Richtung gegeben zu haben, indem er sich42), bevor das unmittelbare Aufgeben desselben verfügt werde, vor allem für eine vor­läufige Zergliederung der Fälle erklärte, in welchen das Placetum regium zur Anwendung kommt“ 43). Bei diesem Stand der Beratung gingen die Minister auseinander, um sie am nächsten Tag wiederaufzunehmen. Graf Thun trat neuerlich für die 41) Josef K. Mayr, Das Tagebuch des Polizeiministers Kempen von 1848 bis 1859, Wien-Leipzig 1931, S. 400 und Friedjung, a. a. O., S. 209. 42) Im M. R. Prot, stand ursprünglich sogar „sofort ebenfalls“. 43) M. R. Prot, vom 16. I. 1850.

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