Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)

MARX, Julius: Die österreichische Mäßigkeitsbewegung im Vormärz

280 Julius Marx In Österreich wuchs die Angelegenheit den Behörden, die sonst alles bevormundeten, sofort über den Kopf, denn niemand wußte, wie man sich zu ihr stellen sollte. Als 1844 die ersten Landeskinder, Galizianer, die in Preußen und Krakau erwerbstätig waren, der Mäßigkeitsbewegung bei­traten, verbot ihnen dies die galizische Landesregierung. Sie wandte sich aber, da inzwischen in Teschen schon eine Vereinsgründung erfolgt war und im Kreise Wadowice der Bulowicer Pfarradministrator während seiner Predigten die im Beitrittsaufrufe enthaltene Gelübdeformel vorlas und zum Beitritte ermunterte, um Weisungen nach Wien; dabei bezeichnete sie den Verein als durchaus erwünscht. Der Wadowicer Kreishauptmann wies nachdrücklich auf die behördliche Unterstützung des Vereines in Preußen hin. Dem Erzherzog-Gouverneur Galiziens schien die völlige Enthaltsamkeit nicht begrüßenswert, er befürchtete von ihr Gesundheitsstörungen; aus dem gleichen Grunde warnte der Prinz von Preußen, Schlesiens Militärbefehlshaber (nachmals Kaiser Wilhelm L), die Soldaten eindringlich vor dem Vereine9). Noch mehr mißfiel dem Erzherzog die rein religiöse Form. Gerade diese aber, die ja auch in der amerikanischen Bewegung deutlich ist, herrschte in den katholischen Gegenden fast ausschließlich, die Geistlichkeit hatte die Füh­rung inne. Sie wirkte durch Gebete, litaneiartige Formeln, Gedichte und Lieder, die in den drei Sprachen polnisch, deutsch und tschechisch in Drucken und Handschriften verbreitet wurden, trotzdem die österreichische Zensur nicht mit allem einverstanden war; auch vor Gewissenszwang scheute man nicht zurück. Der Erzherzog mißtraute offensichtlich der nationalen Geistlichkeit, der er die Massen nicht überlassen wollte. Er sah sich indes doch gezwungen, mit den Ordinariaten ein Einverständnis her­zustellen, denn in vielen Orten der westgalizischen Kreise Rzeszów, Wadowice, Bochnia, Tarnów, Sandez und Jaslo waren urplötzlich Vereine entstanden 10). Häufig hatte das Volk selbst Anstoß zur Gründung gegeben, aus religiöser Überzeugung das Gelübde abgelegt, und so selten waren Brüche, daß in manchen Orten gar kein Branntwein mehr ausgeschenkt wurde. Die Folgen dieser Abnahme der Trunksucht zeigten sich deutlich in der Minderung der Jahrmarktsexzesse, Verbrechen und Feuersbrünste. Der Erzherzog besprach sich mit den beim Landtag versammelten Bischö­fen, von denen der Tarnówer die Sache besonders warm befürwortete. Ein­stimmig traten sie für die religiöse Grundlage ein, so daß der Gouverneur doch der Geistlichkeit die Führung überlassen mußte. Jede politische Ein- * 19 9) Verw.-A, Brünner Polizeibericht v. 22./10. 1844; er spricht auch über Alkoholverfälschung durch die Juden, die Wasser und zur Verstärkung Vitriol zum Schnaps gössen. — Bode, a.a.O., S. 68. 19) M a r t i u s, a.a.O., S. 166, behauptet, daß in Galizien dem Priester das Gelübde abgelegt wurde, wenn kein Verein da war. Amtlich ist das nicht be­zeugt, es scheint aber auf Bulowice zuzutreffen.

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