Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)

NECK, Rudolf: Österreich und die Osmanen. Stand und Probleme der historischen Forschung

526 Literaturberichte Zu der nun folgenden systematischen Darstellung des österreichischen Verfassungsrechts ist wenig zu bemerken. Treffend wird die gegen­wärtige Situation der österreichischen Demokratie als der Übergang von der liberalen zur sozialen Demokratie gekennzeichnet. Spanner bringt viele Ergänzungen zu den früheren Auflagen und zieht auch die neuere Literatur in anerkennenswertem Ausmaß heran. Bei der Behandlung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hätte der Archivar bei den Fragen des Archivdienstes und des Denkmalschutzes einen Hinweis auf die kritischen Bemerkungen Adamovichs zu Artikel 10 der Bundesver­fassung in der Festschrift für Josef Bick und in der kommentierten Aus­gabe der Bundesverfassungsgesetze von 1953 gewünscht. Das neue Haupt­stück über das Bundesheer ist m. E. überdimensioniert. Da Spanner zum Unterschied von Adamovich keine richterliche Funk­tion ausübt, brauchte er mit seiner Kritik, wo es ihm nötig schien, nicht zurückhalten. Dies mag vielfach den Absichten seines Lehrers entsprochen haben, so etwa in der Beurteilung der Tendenzen zum Parteienstaat. Denn trotz der innenpolitischen gedeihlichen Entwicklung, die Österreich seit 1945 der Koalitionspolitik zu verdanken hat, darf nicht übersehen werden, daß das Prinzip des freien Mandats infolge des Fraktionszwanges weit­gehend seiner Wirksamkeit beraubt wurde und nur mehr de jure, aber nicht mehr de facto gilt. Dagegen muß sich der Jurist ebenso wenden, wie gegen die Macht der Kammern, wie sie etwa in den Lohn- und Preis­abkommen zum Ausdruck kam, die — an sich für den Staat vorteilhaft — im Verfassungsrecht keine Grundlage hatten. Hier urteilt Spanner durchaus im Sinne des Dahingeschiedenen. Be­dauerlich ist es hingegen, daß er in einer anderen Frage, die derzeit sehr aktuell ist, nicht den Spuren seines Vorgängers folgte, dessen Einsicht gerade auf diesem Gebiet das Ergebnis einer reifen und schmerzhaften Erfahrung war. Mit großem Eifer ist der temperamentvolle Bearbeiter des Handbuchs an den verschiedensten Stellen bemüht, Argumente für die völkerrechtliche und staatsrechtliche Gültigkeit des Konkordats von 1933/34 beizubringen. Dies geschieht in einem Ausmaß, das sich in einem Hand­buch für Studierende nicht mehr rechtfertigen läßt. In einem solchen Werk sollten nur juristische und keine politischen Gesichtspunkte maßgebend sein. Wie auf S. 456, Anm. 1, die Kritik an Adamovichs Feststellung, daß die Bestimmungen des Konkordats, soweit sie die Kraft von Verfassungs­bestimmungen hatten, durch das Verfassungsüberleitungsgesetz 1945 auf­gehoben sind (S. 358, nicht S. 359 der 4. Auflage!), juristisch vertretbar ist, ist nicht recht klar. Vom Standpunkt des Völkerrechts mag man über die Gültigkeit des Konkordats geteilter Meinung sein (wenngleich die dies­bezüglichen Ausführungen des Bearbeiters über den Staatsvertrag völker­rechtlich in mancher Hinsicht anfechtbar sind), vom verfassungsrecht­lichen Standpunkt kaum. Denn der völkerrechtlichen Kontinuität mit dem Österreich von 1938 entspricht für die zweite Republik viel eindeutiger eine verfassungsrechtliche zum 4. März 1933. Es wäre zu wünschen ge­wesen, daß der Bearbeiter hier im Sinne von Ludwig Adamovich mehr Objektivität und sittlichen Ernst bewahrt hätte. Rudolf Neck (Wien).

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