Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)

NECK, Rudolf: Österreich und die Osmanen. Stand und Probleme der historischen Forschung

Rezensionen 499 und dessen Struktur. Daran schließt sich eine chronologische Schilderung der politischen Entwicklung bis zum Beginn der konstitutionellen Ära 1861. Den Trägern der liberalen Bewegung ist ein besonders wertvolles Kapi­tel gewidmet. F. untersucht sowohl deren soziale Schichtung von Fürst und Hochadel bis zum Bürgertum als auch die liberalen Gesellschafts­mächte, wobei er Finanzwelt, Parlament, Presse, Judentum und Freimaurer behandelt. Da hiefür fast keine brauchbaren Vorarbeiten vorhanden waren, mußte F. leider manche Abschnitte, wie z. B. jene über Militär und Büro­kratie, etwas kurz fassen. In jüngster Zeit sind auch in Österreich selbst Untersuchungen in dieser Richtung gemacht worden '), die erneut beweisen, daß die moderne Geschichtsschreibung an den soziologischen Phänomenen nicht vorübergehen kann. F. hat die Bedeutung der gesellschaftlichen Struk­tur für die Entstehung und das Umsichgreifen gerade des Liberalismus klar erkannt und entsprechend betont. Daher gehören seine eingehenden und instruktiven Ausführungen über die liberalen Gesellschaftsmächte zu den interessantesten Kapiteln seines Buches. Ihnen folgt die Schilderung der Entwicklung der deutschliberalen Bewegung in der Monarchie bis zum Ausgleich. Die liberale Außenpolitik, die Stellung der Liberalen zur natio­nalen Frage, zur Demokratie und eine kurze Darstellung ihres Verhält­nisses zu Religion und Kirche bilden den Abschluß. Den Kulturkampf, für den die liberale Partei nach der Erringung der Verfassung mangels eines konstruktiven außenpolitischen Konzeptes ihre ganze Kraft einsetzte, hat F. ja bereits in einem anderen Werk* 2) beschrieben, auch beschäftigt sich vor allem mit der liberalen Geisteshaltung und Kulturpolitik eine ebenfalls 1955 erschienene, österreichische Arbeit über den Liberalismus3 4). Daß bei F. Industrie und Wirtschaft ebenso zu ihrem Recht kommen wie die Literatur und selbst die bildende Kunst, gehört zu den besonderen Vor­zügen seines Buches. Die Sympathien des Verf. gelten nicht dem Liberalismus, in dem er den Wegbereiter sowohl für die Massenparteien der Gegenwart als auch für die moderne individualistische und atheistische Weltanschauung sieht, da dieser die feste, in gewissem Sinn sakrale überkommene Ordnung stürzte, ohne an ihre Stelle eine tragfähige neue setzen zu können. Trotz­dem ist seine auch stilistisch ausgezeichnete Darstellung im allgemeinen stets sachlich gehalten. Angesichts der hervorragenden Gesamtleistung F.s sind einige wenige nicht ganz zutreffend erscheinende Bemerkungen in seiner Arbeit fast nicht der Rede wert. So läßt sich z. B. eine Beeinflussung der ausländischen Presse von seiten der österreichischen Regierung in der neoabsolutistischen Ära aus den Akten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs durchaus belegeni), obwohl F. nicht dieser Meinung ist (S. 178). Der Wiener Erz­') Johann Christoph Allmayer-Beck, Die Träger der staatlichen Macht, in. Spectrum Austriae, Wien 1957, S. 252 ff. 2) Georg Franz, Kulturkampf, München 1954. Vgl. diese Zeitschrift 8, 1955, S. 472—474. 3) Karl Eder, Der Liberalismus in Altösterreich, Geisteshaltung, Politik und Kultur. Wiener Historische Studien III, Wien-München 1955. Vgl. die Rezension von R. Blaas auf S. 497 f. dieses Bandes. 4) Vgl. z. B. E. Weinzierl-Fischer, Zeitgenössische Polizei- und Diplomaten­berichte über das Konkordat von 1855, Mitteilungen des Österreichischen Staats­archivs 9, 1956, S. 285. 32*

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