Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)

NECK, Rudolf: Österreich und die Osmanen. Stand und Probleme der historischen Forschung

Österreich und die Osmanen 445 bezüglichen Urkunden und Aktenstücke im Haus-, Hof- und Staatsarchiv seit 1412 bis zur Eroberung von Konstantinopel hat — soweit sie im Druck bekannt sind — Grill zusammengefaßt70) Die Arbeit konnte nicht fort­gesetzt werden, obwohl gerade für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts noch viel unbekanntes Material vorhanden ist. Leider sind die einschlägigen Bestände der Fridericiana und Maximiliana noch wenig erschlossen71). Über einen angeblichen Sohn Murads II., Bayezid, der am Hof der Päpste, des Königs von Ungarn und Friedrichs III. lebte und sich zuletzt in Perchtoldsdorf bei Wien niederließ, hat Babinger aus vielen Archiven Material zusammengetragen 72). Der interessante Prinz, der 1496 in Bruck an der Leitha starb, spielte eine Zeit lang in der orientalischen Politik der europäischen Mächte an der Neige des Mittelalters eine gewisse Rolle. Das ungefähr gleichzeitige Erscheinen der Osmanen in Mitteleuropa mit der Entstehung der Reformation, der Zweifrontenkrieg Habs- burgs einerseits gegen die Türken, andrerseits gegen die protestantischen Stände im Reich und in den Erbländern hat immer wieder zu Untersuchun­gen nach Zusammenhängen jener beiden Phänomene geführt. Zunächst ist es die Stellung der Reformatoren selber zur Türkengefahr, die — keines­wegs immer einheitlich und folgerichtig — mancherlei Mißdeutungen aus­gesetzt war. Während Calvin in seinen Äußerungen nur sehr gelegentlich und sporadisch zum Problem der Türkengefahr Stellung nimmt73), ist das Verhältnis Luthers zum Erbfeind der Christenheit komplizierter, aus einer christlichen Gesinnung heraus problematischer. In einer evangelisch- theo­logischen Dissertation ist während des letzten Krieges Lamparter diesem Problem nachgegangen74). Er kommt durch wertende Sammlung aller ein­schlägigen Äußerungen Luthers zu dem Ergebnis, daß der deutsche Refor­mator bei aller grundsätzlichen Kritik der Kreuzzugsidee, deren Wieder­aufleben in den machtpolitischen Kämpfen seiner Zeit ihm nicht nur verdächtig, sondern verhängnisvoll erschien, an der Kriegspflicht der Obrigkeit und der Wehrpflicht der Untertanen gegen die Feinde des Glau­bens festhielt. Allerdings erblickte er aus seinen endzeitlichen Vorstellungen heraus in den Türken die göttliche Zuchtrute und eine Aufforderung zur Buße und Einkehr. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommte Buchanan75), der nur die Zeit von 1519—1529 untersucht, in der der pazifistische Ton in vielen Predigten Luthers zu Mißverständnissen Anlaß gab. 70) Heinz Grill, Die ältesten „Turcica“ des Haus-, Hof- und Staatsarchivs (MÖStA. 3, Santifaller-Festsehrift, S. 127 ff.). 71) Vgl. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, 1. Bd., Wien 1936, S. 355—358. 73) Franz Babinger, „Bajezid Osman“ (Calixtus Ottomannus), ein Vor­läufer und Gegenspieler Dschem Sultans (La Nouvelle Clio, 3, 1951, S. 349 ff.) und: Zur Lebensgeschichte des Calixtus Ottomannus (Bajezid Osman) (Kretika Xronika 1953, S. 457 ff.). 7®) Jacques Pannier, Calvin et les Turcs. (Revue historique 180, 1937, S. 268 ff.) 74) Helmut Lamparter, Luthers Stellung zum Türkenkrieg. Diss. Tübingen 1940. 75) Harvey Buchanan, Luther and the Turcs 1519—1529. (Archiv für Refor­mationsgeschichte, Jg. 47, 1956, S. 145 ff.)

Next

/
Thumbnails
Contents