Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)

NECK, Rudolf: Österreich und die Osmanen. Stand und Probleme der historischen Forschung

Österreich und die Osmanen 441 Wie die mittelalterlichen Kreuzzugsvorstellungen des Abendlandes der durch das Vordringen der Osmanen entstandenen neuen Lage nicht mehr gerecht werden konnten, hat Aziz Suryal Atiya in einem bei uns zu wenig beachteten Werk dargelegt44 45). Zugleich hat er auch die von den Osmanen ausgehenden Gegenbewegungen, die für die weiteren Fortschritte des Islams von großer Bedeutung werden sollten, untersucht. Das Buch ist auch wegen seines Quellenanhangs und seiner Bibliographie für die osmanische Frage im Spätmittelalter von Wichtigkeit. Während man anläßlich des 500. Jahrestages der Eroberung von Kon­stantinopel im Nahen Osten 4ä) und in Mitteleuropa 46) dieses Ereignis den überkommenen Auffassungen gemäß als epochemachend gewürdigt hat, wurden im Westen bereits Stimmen laut, die die Bedeutung der Tat Mehmeds geringer einschätzen. Dabei spielt offensichtlich auch die Ent­wicklung der antikolonialen Revolution in der Gegenwart mit. Barraclough hat im Zusammenhang mit dieser Neueinschätzung des Jahres 1453 auch mit Recht darauf hingewiesen, daß die Möglichkeiten des Reiches bzw. Österreichs, die Balkanchristen zu einem Freiheitsbündnis zu gewinnen, von vorneherein skeptisch zu beurteilen waren gegenüber den Aussichten Ruß- hands 47). Darüber hinaus lassen sich jedoch auch in den in Westeuropa erschiene­nen Gesamtdarstellungen keine neuen Gesichtspunkte erkennen. In den in letzter Zeit erschienenen größeren französischen Handbüchern 48) ist z. B. die Rolle des osmanischen Reiches im Bezug auf die Entwicklung des Staatensystems nur ungenügend skizziert. Wenn der politischen Theorie die Einbeziehung der Türkei in das System des europäischen Gleichgewichts erst im Laufe des 19. Jahrhunderts gelang49), so bleibt es der historischen Wissenschaft der Gegenwart Vorbehalten, den frühen Anfängen des Welt­staatensystems nachzugehen. Zunächst sind es Spezialstudien, wie etwa 44) Aziz Suryal Atiya, The Crusade in the later Middle Ages. London 1938. Über die Kreuzzüge selbst liegt jetzt neben dem monumentalen Werk von Steven Runciman, A History of the Crusades. 3 Bde. Cambridge 1951—1954, deutsche Übersetzung von Peter de Mendelsohn, 1. Bd., München 1957), auch eine deutsche Darstellung von Adolf Waas, Geschichte der Kreuzzüge, 2 Bde., Freiburg 1956, vor. Von der großen amerikanischen, von Kenneth M. Setton geleiteten Gemein­schaftspublikation, A History of the Crusades, Philadelphia, ist 1955 der erste Band erschienen. Sie verwertet in größerem Umfang auch arabisches und tür­kisches Quellenmaterial. 45) In Istanbul erscheint seit 1953 die Zeitschrift Fatih ve Istanbul. Vgl. auch die Bibliographie in Belleten 17, 1953, auf griechischer Seite die Sonder­nummer der Zeitschrift Hellenisme Contemporaine, 1953. 4») Gotthard Jäschke, Die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 und ihre Bedeutung für Geschichte und Gegenwart. (Die Welt als Geschichte, 13, 1953, S. 210 ff.). 47) Geoffrey Barraclough, The Fall of Constantinople (in: History in a Changing World. Oxford 1955, S. 131 ff.). 48) Vgl. etwa Pierre Rénouvin (ed.), Histoire de Relations Internationales, 6 Bde., Paris 1953—1956, und die Histoire Générale des Civilisations, besonders Bd. 4, 1954 von Roland Mousnier. 49) Vgl. dazu jetzt Edward Vose Gulick, Europes Classical Balance of Power. A case History of the Theory and Practice of great Concepts of European Statecraft. New York 1955.

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