Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)

WAGNER, Hans: Die Briefsammlung Gauchez

Österreich 575 seler Advokaten an einen Kollegen in Paris 3). Gauchez entstammte einer Industriellen- und Beamtenfamilie, die in Brüssel eine Fabrik für Woll­decken unter dem Namen Willems — de Keyser betrieb. Sein Großvater, Mr. Willems, war Rat am Appellationsgericht in Brüssel. Der junge Léon war zunächst nicht für das Geschäftsleben bestimmt, er beschäftigte sich mit Wissenschaft und Kunst. Da die elterliche Fabrik aber bald nicht mehr den Anforderungen der fortschreitenden Technik entsprach und konkur­renzunfähig wurde, mußte sich Léon auf den Rat seines Großvaters in Paris und England auf die Führung der Fabrik vorbereiten. In Paris war er Schüler des Professors am „Conservatoire des arts et métiers“, Michel Alcan, der auch als Erfinder und Politiker eine bedeutendere Rolle gespielt hat. Nach Beendigung seiner Berufsausbildung wurde die Fabrik mit gro­ßen Kosten und teilweise mit fremden Geldern modernisiert, hundert mechanische Webstühle wurden aufgestellt und eine Spinnerei errichtet. Als diese Spinnerei einem Brand zum Opfer fiel, konnte der Verlust nicht mehr völlig wettgemacht werden, Gauchez mußte in Ausgleich gehen. Er arbeitete dann noch fünf Jahre weiter, um seine Gläubiger befriedigen zu können. Ihnen stellte er außerdem noch 50.000 Francs, die er mit Waffen­handel nach den Vereinigten Staaten während des Sezessionskrieges ver­dient hatte, zur Verfügung. Das so erworbene Zutrauen in seine Rechtschaffenheit machte sich in einem neuen Beruf, der nun seinen Neigungen mehr entsprach, bezahlt. Sein Advokat Albert Picard und sein Hauptgläubiger Théodore Mélot stell­ten ihm eine Summe zur Verfügung, um sich dem Kunsthandel unter Aus­nützung seiner früheren künstlerischen Bekanntschaften widmen zu können. Er blieb zunächst noch in Brüssel und scheint dort an der Herausgabe der Kunstzeitschrift „Revue de Bruxelles“ beteiligt gewesen zu sein. Über die Anfänge von Gauchez als Kunsthändler unterrichtet die — nur einseitig erhaltene — Korrespondenz mit W. Bürger, bekannter unter dem Namen Théophile Thoré4). Bürger, der nach 1848 lange Zeit im Exil ver­brachte, war in Pariser Kunstkreisen ein Begriff. Er wird einmal von Paul Leroi der „Diderot artistique du XIX siede“ genannt5). Sein Haupt­werk, die „Salons de T. Thoré 1861—1868“, wurde mehrfach aufgelegt. Die Korrespondenz Bürgers, der selbst Kunsthändler und Sammler war, setzt im Jahr 1866 ein. Damals lud ihn Gauchez zur Beteiligung an einer „International Society of Fine Arts“, die in England geplant wurde, als Korrespondent in Paris ein. Gauchez hat überhaupt stets enge Beziehungen zu England unterhalten und war bei allen größeren Auktionen in London persönlich anwesend. Bürger erklärte sein prinzipielles Einverständnis zur Mitarbeit, wies jedoch auf die besonderen Schwierigkeiten in Paris, wo die Künstler nicht zusammenhielten, hin. In seinen weiteren Briefen an Gauchez spricht er fast nur vom Kunsthandel. Um 1870 scheint sich Gauchez zeitweilig wieder mit dem Waffenhandel befaßt zu haben, es sind jedenfalls zwei Briefe vorhanden, die an die Firma 3) A. Payen aus Brüssel an den Anwalt de Biéville in Paris vom 4. XII. 1881. 4) Für die Jahre 1866 und 1867 finden sich 72 Briefe Bürgers, meist an Gauchez, in der Sammlung. 5) L’Art, Jahrgang 1876, Band 2, S. 103.

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