Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)
WALTER, Friedrich: Metternich und Gervay. Ein Briefwechsel
Metternich und Gervay 187 schrieb seine einen Mittelweg zwischen Amtsvortrag und Privatbrief einhaltenden Referate nach damaligem Kanzleigebrauch halbbrüchig, und Metternich nutzte die freigebliebenen Halbseiten, um gleich hier seine Bemerkungen mit den notwendigen Weisungen den einzelnen Punkten beizufügen; nur wenn er mit dem Raum nicht reichte, setzte er seine Ausführungen auf einem eigenen Blatte fort. Mitunter allerdings, schrieb der Fürst auch zwischendurch, ohne durch eine Mitteilung von Gervay’s Seite angeregt zu sein, an seinen Getreuen — auf abgerissenen Blättern, in Stil und Haltung ebenso ungezwungen-formlos wie bei seinen marginalen Antworten auf die ihm zukommenden Relationen. Und diese ganze solcherart entstandene Korrespondenz, die der Hofrat — er dachte stets auch daran, „denjenigen, dem die Vorsehung es gestatten werde, diese Papiere nach einer Zeit einzusehen, den Schlüssel der geschichtlichen Gestaltung finden zu lassen, in welcher die Verhältnisse sich zeigen würden“ 2) — offenbar in seiner Schreibtischlade sorgfältig „sekretierte“, kam schließlich mit anderen von ihm verwahrten Amtsschriften 1910 an das Staatsarchiv, wo sie nun im „Nachlaß Gervay“ hinterlegt ist3). Es fehlte den Sommermonaten 1842 und 1843 nicht an politischer Bewegtheit: die Parteikämpfe in Spanien wollten nicht und nicht zur Ruhe kommen, in Italien brach bald hier bald dort die unterirdisch schwelende Glut revolutionärer Unruhe zu heller Flamme auf und auch die deutsche Politik war seit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. wieder in lebhafteren Fluß gekommen. Immerhin, ein die Monarchie unmittelbar bedrohender Gefahrenherd bestand nicht, und so konnte der Kanzler der Residenz unbesorgt den Rücken kehren. In der Innenpolitik freilich stand manche dunkle Wolke am Himmel: in Ungarn konnte die Regierung ihre steuerlichen und militärischen Forderungen so wenig wie ihre im Landesinteresse liegenden Reformvorschläge gegen die leidenschaftliche Opposition eines immer mehr sich übersteigernden nationalen Fanatismus durchsetzen, und in Prag erhob das „junge Böhmen“ sein Haupt; zudem war hier durch persönliche Disharmonien, die schließlich zum Rücktritt des Oberstburggrafen Grafen Karl Chotek führten, eine Lage entstanden, die ein festes Auftreten der Regierung wenigstens vorübergehend unmöglich machte. Aber abgesehen davon, daß auch die unerfreulichen Szenen im 1843 eröffneten ungarischen Landtag und das 2) LI. s) Unmittelbar verwertet wurde der Briefwechsel außer in meinem Aufsatz: „Der Rücktritt Graf Carl Choteks vom Oberstburggrafenamte und die Ernennung Erzherzog Stephans zum Landeschef in Böhmen“ (Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Deutschen i. Bhm., 60. Jg., S. 169—220). scheinbar nur noch von Hanns Schiitter, Aus Österreichs Vormärz (Zürich-Leipzig-Wien 1920). H. v. Srbiks vereinzelte Zitate (Metternich. Der Staatsmann und der Mensch. München 1925, 2. Bde.) sind diesen beiden Arbeiten entnommen.