Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)

MARX, Julius: Die amtlichen Verbotslisten. Zur Geschichte der vormärzlichen Zensur in Österreich

Die amtlichen Verbotslisten 183 Die Ausstellung des heiligen Rockes in Trier und die aus den daraus entspringenden Streitigkeiten entstandene deutsch- katholische Kirche waren ein neuer Anlaß zu Flugschriften, Kari­katuren, Bildern, die oft wüst ausarteten, weshalb sie in Österreich meist verboten oder sogar beschlagnahmt wurden92), wie etwa die Aufrufe des abgefallenen Priesters Johannes Ronge. Gerade in diesen Streitigkeiten können wir den erwähnten Übergang, um nicht zu sagen die Ummünzung der religiösen Frage zu einer politischen, erkennen. Der einstige Kaplan Johann Czerski, der den eigentlichen Anstoß zur Abfallbewegung gegeben hatte, kam mit seiner Schrift „Sendschreiben an alle christ-katholischen Gemeinden Thorn 1845 (45 XII/i, 116) mit erga schedam davon93). Der letzte kirchenpolitische Anlaß zu Kampfschriften war die Wahl Pius IX. zum Papst (1846), deren Bedeutung — Pius galt als liberal — in allen Geschichtswerken zur Genüge hervorgehoben wird. In Österreich machten sich die Auswirkungen natürlich im italienischen Doppelkönig­reiche besonders fühlbar, es sei nur an die Papsthymnen erinnert. Neben diesen gelegentlichen Anstößen oder vielleicht schärfer gesagt Ausbrüchen finden sich laufend, wenngleich in geringer Zahl, Streit­schriften gegen die Jesuiten. Neben dem schon erwähnten Werk Dullers sei bloß Schuselkas „Der Jesuitenkrieg gegen Oesterreich und Deutschland“, Leipzig 1845 (45 v/i, 144) herausgegriffen; die Schrift wurde selbstver­ständlich verboten94). Ebenso wurden die meist von Protestanten stam­menden Bücher über Luther, die außerhalb der oberwähnten Gelegen­heiten erschienen, meist beschränkt, wie beispielsweise „Luthers politische Schriften“, die Th. Mundt 1844 in Berlin herausgab (1. Bd„ 44 x/i, 172 r). Die Kirchenzeitungen Deutschlands und der Schweiz sind in den Listen sowohl unter damnatur als auch unter erga schedam zahlreich ver­treten. Daß etwa die „Deutsch-katholische Kirchenzeitung“ (48 l/i, 9 r) dem Verbote anheimfiel, ist wohl begreiflich, daß während der erwähnten Kampfzeiten die evangelischen Zeitungen mehr zu leiden hatten, ist auch nicht überraschend, doch finden sich die „Katholischen Blätter“, die in Zürich verlegt wurden, gleichfalls öfter unter erga schedam, z. B. 1840. Die Listen enthalten aber auch unter den Verboten Schriften, deren Titel vermuten lassen, daß man zu stark frömmelnde Werke eben­falls nicht wünschte, wobei aber nicht übersehen werden darf, daß in diesen akademische Jugend“, 1. Th., 1839 (39 XI/2, 377 r), „Bolzanos Wissenschafts­lehre und Religionswissenschaft in einer beurtheilenden Uibersicht“, 1841 (41 x/i, 297); alle Schriften sind in Sulzbach erschienen. — 92) Glossy, a. a. O., Anm., S. 124 ff. — Marx, Vormärzl. österr. Zensur, Nr. 11, 13, 15, 16, 29, 42; S. 80, 82, 83. — 93) Glossy, a. a. O., Einleit., S. LXXI ff. — Ronge, geb. 16. 10. 1813 in Bischofswalde, Schlesien, gest. 20. 10. 1887 in Wien. — C e r s k y, geb. 12. 5.1813 in Warlubien, Westpreußen, gest. 22. 12. 1893 in Schneidemühl. — 94) Duller: vgl. Anm. 44 u. 17. — Schuselka: vgl. Anm. 33. —

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