Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Kirchenfrage auf dem österreichischen Reichstag 1848/49

Die Kirehenfrage auf dem Österreichischen Reichstag 1848/49 175 wollte151). Gegen Zivil- und gemischte Ehen, sowie gegen die Einziehung des Kirchengutes protestierten die Gemeinden des mährischen Bezirkes Thodau 152). Der Antrag Füsters nach Aufhebung der Klöster 153) hatte vor allem die galizische Bevölkerung beunruhigt154 155) und zahlreiche Gegen­petitionen verursacht15ä). Man glaubte anscheinend wirklich, der Reichstag werde in Kürze alle Orden aufheben und übersah, daß dies einem konsti­tuierenden Reichstag allein nicht leicht möglich war, selbst wenn dessen sämtliche Mitglieder so radikal eingestellt gewesen wären wie Füster. Aber nicht nur in Galizien besaß das Volk keine klare Vorstellung von den Befugnissen des Reichstages. So bat z. B. eine Gemeinde in Öster- reichisch-Schlesien den Reichstag um die Transferierung einer Pfarre 156) und eine anonyme Petition der „Mehrzahl der Laien und Geistlichen der Monarchie“ um die Abschaffung des Zölibats 157). Auch aus den Reihen des jüngeren Säkularklerus und mancher Orden kamen Petitionen, die vom Reichstag mehr verlangten als er geben konnte. So wünschten die Wald- viertler Kooperatoren neben der Regulierung der pfarrlichen Zehentver­hältnisse die Abschaffung der geheimen Konduite-Listen und die Emanzi­pation der Kooperatoren von der Herrschaft der Pfarrer158). Die Brünner Augustiner, deren Petition u. a. von „Gregor Mendel, Kooperator und Lehr- amts-Candidat“, unterschrieben ist, ersehnten die bürgerliche Gleichstel­lung der Ordensgeistlichen und wollten sich ganz dem Lehramte widmen159). Der mährische Piarist Holley bat den Reichstag inständig, seinen ganzen Orden aufzuheben, in dem er „der Verdorbenheit wegen, welche seit zwey Jahrzehnten nach gemachter Erfahrung im Orden ansteckend wuchert“, 151) Hugelmann, a. a. O., S. 113. 159) 1848 X 22. ŐRT. Fasz. 123, IX/22, n. 2770. 153) Siehe oben S. 170. 154) „Mit Betrübniß vernahmen wir, daß einer der Herrn Reichstags Mit­glieder ..„Als wir unsere Deputirten zur hohen Reichs Versammlung absen­deten, haben wir keinen ermächtiget unsere religiösen Verhältnisse zu stören.“ Ebendort n. 2703. 155) 1848 XII 10, ŐRT. Fasz. 123, IX/22, n. 4792: 3430 Bewohner des Kreises Sandec um Fortbestand des Klarissinnenklosters Sandec. — Ebendort n. 1729 bis 1731: Petition mit Hunderten von Unterschriften um Belassung des grie­chisch-katholischen Basilianerordens, der gelobte, „bei der aufkeimenden Natio­nalität“ der ruthenischen Bevölkerung Galiziens sich „als volkstümlicher Lehrer dem Bruderwohl zu weihen“. —- Ebendort n. 4794: 40.000 Bewohner der Diözese Tarnow gegen die Einziehung des Kirchengutes. i«9) 1848 XII 28. ŐRT. Fasz. 123, IX/22, n. 3827. 157) Ebendort Fasz. 106, n. 2313. 158) „Die Kooperatoren wollen künftig auch keine Sklaven mehr sein, welche nur dazu verkauft und geknechtet wären, die geistigen Plantagen ihrer Herren bearbeiten zu müssen. Wir sind keine Neger auf Hayti — sondern wollen sein freie, deutsche Männer. 1848 VIII 19, ebendort Fasz. 123, IX/22, n. 506. 159) 1848 VIII 8. Ebendort n. 318.

Next

/
Thumbnails
Contents