Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)
NECK, Rudolf: Zeitgeschichtliche Literatur über Österreich
Zeitgeschichtliche Literatur 369 Eine besondere Bedeutung scheint uns auch in dem Umstand zu liegen, daß es sich um ein Sammelwerk mit sachlich und nicht chronologisch getrennten Beiträgen handelt, trotz mancher damit verbundener Mängel. Gerade in der Zeitgeschichte ist die Beleuchtung der Probleme von mehreren Gesichtspunkten aus unbedingt notwendig. Dies scheint uns im vorliegenden Fall, besonders in den beiden ersten Teilen von Goldinger und Wandruszka zu bemerkenswerten Ergebnissen zu führen. Dem Herausgeber ist zu danken, daß er seinen Mitarbeitern volle Freiheit und Verantwortung ließ. Das für uns vielleicht erfreulichste Ergebnis liegt jedoch in der Aufnahme des Buches in der inländischen Presse. Soweit wir sehen, war diese von allen politischen Richtungen — mit Ausnahme der Kommunisten — zustimmend und anerkennend, und dies, obwohl auch die beiden großen Parteien, bzw. ihre Vorläufer in der Darstellung keineswegs auf Kosten der historischen Wahrheit geschont wurden4). Es spricht dies für eine Vertiefung des demokratischen Gedankens in Österreich und eröffnet der künftigen Forschung gute Aussichten. Der Abstand zum Ausland ist daher nicht mehr so hoffnungslos weit, wie es im I. Bericht noch scheinen mochte. Es ist hier vielleicht angezeigt, zunächst einen kurzen Seitenblick auf den derzeitigen Stand der Forschung über die deutsche Geschichte seit 1918 zu werfen, soweit sie für Österreich von Belang ist5). Das bedeutendste Werk, das von Erich Eyck6), liegt vorerst nur im ersten Band vor, der bis zur Wahl Hinden- burgs reicht. Wegen seines eigenwilligen Charakters läßt es sich schwer mit dem österreichischen Sammelwerk vergleichen. Die vom liberaldemokratischen Standpunkt verfaßte Darstellung von Friedensburg7), die bereits 1934 fertiggestellt war, aber erst nach dem Krieg erscheinen konnte, sowie die des ehemaligen Chefredakteurs des „Vorwärts“ und Mitgliedes des Parteivorstandes der SPD. Stampfer8 * *) sind beide unkritisch und ohne systematische Quellenbenützung abgefaßt. Beide huldigen der Anschlußideologie. Am brauchbarsten ist neben den später noch näher zu umschreibenden Abschnitten im Rassowschen Handbuch das englische Buch von Scheele0), das auch die Rolle der Anschlußfrage in der österreichischen Innenpolitik zutreffend zeichnet. Die wohlfundierte Studie W. Conzes vom Übergang der Weimarer Republik vom 4) Vergl. etwa die Neue Wiener Tageszeitung Nr. 299 vom 19. Dezember 1954, die Arbeiter-Zeitung Nr. 271 vom 21. November, die Presse Nr. 1873 vom 7. November, die Wiener Zeitung Nr. 283 vom 5. Dezember und die Österreichische Furche Nr. 50 vom 11. Dezember 1954. Ferner: Österreichische Monatshefte, Jänner 1955, S. 21 f. und die Zukunft, Jänner 1955, S. 30 f. und Wort und Wahrheit, März 1955, S. 215 ff. 5) Vergl. Karl Dietrich Erdmann, Die Geschichte der Weimarer Republik als Problem der Wissenschaft. (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3. Jg. 1955, S. Iff.) 11) Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik, 1. Bd. Zürich 1954. 7) Ferdinand Friedensburg, Die Weimarer Republik, Berlin 1946. 8) Friedrich Stampfer, Die ersten 14 Jahre der deutschen Republik. Offenbach/M. 1947, 3. Aufl., Hamburg 1953. 8) Godfrey Scheele, The Weimar Republic. Overture of the Third Reich. London 1945. Mitteilungen, Band 8 24