Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)
CORETH, Anna: Das französische Archivwesen. Bericht über den internationalen Archivkurs in Paris 1954–1955
Frankreich 337 4 Archivleiter (conservateurs), 7 dem Archivleiter zugeteilte Archivare (conservateurs-adjoints) und 35 Archivare (archivistes). In 400 Räumen werden 700.000 Einheiten aufbewahrt. Die Aufbewahrungsart ist zumeist, abgesehen von einigen Neuinstallierungen, nicht modern — entsprechend den alten Gebäuden. Die Archivalien sind in sehr schön und solid ausgeführten Holzstellagen des 19. Jahrhunderts untergebracht, welche die Räume bis in schwindelnde Höhe ausfüllen, mittels rollbarer Leitern zugänglich sind und viel Platz für Arbeitstische u. a. lassen. Die Art der Konservierung entspricht ganz gewiß nicht mehr den modernen Grundsätzen, hat aber doch auch ihre Vorteile. Das Depot ist grundsätzlich nicht beheizt und nicht oder kaum beleuchtet. Man ist der Meinung, daß die natürliche Schwankung des Pariser Klimas für die Akten zuträglich sei — die Temperatur sinkt nie übermäßig tief. Das Nationalarchiv ist in drei getrennte Sektionen geteilt: die alte Abteilung (section ancienne), die neuere Abteilung (section moderne) und die Abteilung der neuen Archiveinrichtungen (section des services nouveaux). Jede Abteilung ist von einem Konservator, zwei zugeteilten Konservatoren und einer Reihe von Archivaren betreut. Die alte Abteilung umfaßt die Bestände bis zur Revolution, also bis 1790, d. i. 250.000 Einheiten, die in 23 Serien angeordnet sind. Dazu ist ein erklärendes Wort zu sagen. Bei Begründung des Nationalarchivs wurde das System der Serien, die mit Großbuchstaben bezeichnet sind, eingeführt und im Jahre 1806 in folgender Weise ausgebaut: die Serien A—D sollten legislative Bestände enthalten, D—H administrative Bestände, J—M historische, N—O topographische, P—T grundherrschaftliche, V—Z gerichtliche. Zunächst verstieß dieses System gegen den erst später formulierten Grundsatz der Provenienz, dem bei der Serieneinteilung für Departementarchive vom Jahre 1841 schon Rechnung getragen ist, wonach kein Bestand zerrissen werden darf. Die verschiedenen Serien sind nun nach chronologischem Grundsatz — vor oder nach 1790 —, entweder der alten oder der neuen Abteilung angeschlossen: so gehört etwa im Nationalarchiv die Serie A, Gesetze und Dekrete der Revolution, zur neuen Abteilung; die Serie E, der königliche Rat, Y, der Trésor des Chartes, X, das Archiv des Parlaments, zur alten Abteilung. Über die Aufgliederung gibt das Inventar von 1891 (Etat sommaire) Auskunft. Zeitlich beginnt die alte Abteilung mit der Papyrusurkunde von Chlotar II., dem Merovingerkönig, aus dem Jahre 627, dem ältesten Stück des Nationalarchivs überhaupt. Auch weiterhin enthält die Abteilung überreiche Schätze — den Großteil der Archivalien des alten französischen Königtums. Auf einzelnes wird noch zurückzukommen sein. Ihr angeschlossen ist die Siegelabteilung (Service Sigillo- graphique), die durch einen Archivar geleitet wird. Ihre Gründung verdankt sie privaten Sammlern, den Graveuren Dubois und Depaulis und dem Kaufmann aus London Doubleday, die dem Archiv Proben der von ihnen in den Jahren 1832—34 hergestellten Siegelabgüsse überließen. Heute besitzt die Abteilung 20.000 Originalsiegel, 80.000 Abgüsse von Siegeln des Nationalarchivs und zum Teil der Départementarchive Mitteilungen, Band 8 22