Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770—1772 509 Das bedeutete allerdings noch nicht, daß zu diesem Zeitpunkt das ge­samte Getreide auch schon in die Notstandsgebiete gelangt war216) und so waren den ganzen Winter und Frühling 1772 hindurch auch noch andere Hilfsmaßnahmen erforderlich, zu denen u. a. auch wieder die öffentliche Arbeitsbeschaffung217) gehörte. Zu diesem Zweck wurden für den Straßen­bau in Böhmen 60.000 fl. und in Mähren 36.000 fl. ausgeworfen218), mit denen in Böhmen von Anfang März bis Ende August 1772 1750 Menschen beschäftigt werden konnten219), die auf Wunsch des Kaisers täglich mit 4 kr. Bargeld und ls/4 Pfund Brot entlohnt wurden218). Aus dem gleichen Grund wurde auch der Festungsbau in Königgrätz intensiviert218). — Ein besonderes Problem bildeten die vielen Kranken in Böhmen, für die immer wieder bedeutende Summen gewidmet wurden 220). Größere Mengen Reis wurden unentgeltlich unter den Armen verteilt221) und die Kaiserin selbst übergab der Hofkanzlei ein Rezept zur weiteren Verbreitung, mit dem man in Sachsen sehr gute Erfahrungen gemacht habe und das auch „zur Be­wahrung von denen Kranckheiten dienlich ist“ 222). Ein Antrag des böhmi­schen Obersten Münzmeisters Grafen Pachta 223), zur Behebung der Not in den böhmischen Bergstädten die kirchlichen Opfergelder und Pretiosen einzuziehen, „zu Geld“ zu machen und dafür Nahrungsmittel einzukaufen, trug dagegen dem böhmischen Gubernium, das diesen Vorschlag übermittelt hatte, einen scharfen Tadel durch die Hofkanzlei ein 224). 216) Bis zum 27. III. waren nach Prag 68.762 */8 Metzen (beantragt: 90.000), nach Neuhaus 18.281 (30.000), nach Königgrätz 3522 (20.000) und nach Kolin 14.299 (30.000) Metzen geliefert worden. Ebendort, Fasz. 8, April, n. 56. — Der ursprüngliche Plan war sogar gewesen, 100.000 Metzen nach Prag und je 50.000 nach Königgrätz, Kolin, Neuhaus, Olmütz, Brünn und Iglau zu trans­portieren. 1771 XII 23. Ebendort, Fasz. 5, Dezember, n. 86. 217) Siehe oben S. 492. 218) StR.Prot. 1772/1/117, 118. 2!9) 1772 II 21, Bericht d. böhmischen Guberniums, ebendort, Fasz. 8, März, n. 70. 22°) Z. B. 6000 fl. für die Armen und Kranken in Prag, 10.000 fl. für das böhmische Sanitätswesen, weitere 10.000 fl. für die Kranken in Böhmen, wohin auch tschechisch sprechende Ärzte geschickt wurden, 6000 fl. für Ärzte und Chirurgen in Böhmen. 1772 I 7, 1772 II 18, IV 21, VII 20, StR.Prot. 1772/1/63, 11/438, 1033, III/1768, 1930. 221) 1772 VI 13, ebendort, n. 1492. 222) 1 Pfund Roggen- oder Weizenmehl mit Salzwasser zu einem feinen Teig verrühren, dann mit 8 Pfd. Wasser und 8 Lot Butter 11/2 Stunden kochen. Davon „können mit etwas Brot in Frankreich 6, bey uns aber im Gebürg 3 arbeitsame Personen täglich satt werden.“ 1772 I 28, Hofkanzlei an Fürstenberg, Kommis­sion Fasz. 6, Jänner, n. 68. Da sich laut Fürstenberg in Böhmen dieses Rezept gut bewährt hatte, wurde es schließlich allen Länderstellen mitgeteilt. 1772 II 10 und 21, ebendort Fasz. 7, Februar, n. 33. 223) Franz Joseph Graf von Pachta. Hof- u. Staatsschematismus 1772, S. 550. 224) Das Gubernium hätte „einen so bedenklichen und dem Staat selbst in mehrern Rücksichten nachtheilig fallenden Antrag zu Veräusserung der Gott

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