Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

494 Erika Weinzierl-Fischer Der Erfolg dieser Aktion entsprach allerdings nicht den in sie gesetzten Erwartungen, denn es protestierten gegen sie nicht nur private Herr­schaftsbesitzer * 109 *), sondern auch die Kreishauptleute, die fürchteten, ihre Kreise würden zu Gunsten der Hauptstadt benachteiligt no). Die Hofkanzlei beauftragte daher schon am 5. Juni das böhmische Gubernium mit der sofortigen Rückberufung der Kommissäre111). Auch ein anderes, von der Hofkanzlei selbst angeregtes Unternehmen zeitigte nicht den gewünschten Erfolg. Die Hofkanzlei hatte dem Guber­nium mitgeteilt, daß die Prager Klöster und Juden über beträchtliche Getreidevorräte verfügen sollten und ordnete eine streng geheime General­visitation und die Beschlagnahme dieser Vorräte gegen späteren Ersatz an112 *). Die vom Appellationspräsidenten Graf Wieschnik11S) zusammen mit dem Grafen Clary 114) schlagartig durchgeführte Visitation 115) ergab aber, daß die Juden minimale Vorräte besaßen, die ihren eigenen Bedarf bei weitem nicht deckten, und daß auch die Klöster namhafte Aushilfen benötigten 116). Als nun in Wien ein Bericht des böhmischen Generalkommandos eintraf, der besagte, daß in Prag zahlreiche Bürger schon einige Tage kein Brot erhalten hätten und es bereits zu Volksansammlungen gekommen war117), galt es, so schnell als möglich bessere Hilfsmöglichkeiten zu finden. Die außerordentliche Kommission beschloß daher, 4000 Metzen Roggen zur Dek- kung des Prager Bedarfs für die nächsten 14 Tage durch Staffetten in die böhmische Hauptstadt bringen zu lassen. Als Stationen für den Pferde­wechsel wurden Stockerau, Znaim, Deutsch-Brod, Tschaslau und Böhmisch- Brod bestimmt. Der Oberstleutnant von Hollmer, den das Generalkommando mit den Alarmnachrichten nach Wien geschickt hatte, sollte diese Trans­porte organisieren und auch alle ihm auf den Straßen nach Böhmen begeg­nenden Getreidefuhren nach Prag dirigieren. Ferner schloß die Kommis­sion mit dem Getreidehändler Gutmann einen Kontrakt über 6000 Metzen Getreide ä 4 fl. 39 kr. ab, die ab 4. Juni innerhalb dreier Wochen nach Prag geliefert werden mußten118). Die Kaiserin fand jedoch auch diese Maß­nahmen noch nicht für genügend und ordnete die schleunige Versorgung ui!)) 1771 V 27, Gräfin Czernin. Ebendort, Fasz. 3, Juli, n. 50. no) z. B. 1771 VI 7 und VI 9: Kreishauptmann von Tschaslau. Ebendort, Fasz. 2, Juni, n. 29. m) Ebendort, n. 10. U2) 1771 V 22. Ebendort, Mai, n. 18. n») Franz Xaver Graf Wieschnik. Vgl. Arneth, a. a. O., 10, S. 148. m) Philipp Graf v. Clary und Aldringen, Assessor beim böhmischen Guber­nium. Hof- und Staatsschematismus 1773, S. 554. ns) Das Judenviertel wurde von Militär umstellt und in 1% Tagen visitiert, für die Klöster brauchte man 2 Tage. ns) 1771 y 29, Bericht Wieschniks. Kommission Fasz. 2, Juni, n. 6. U7) 1771 v 26, Bericht des Generalkommandos. Ebendort, Mai, n. 30. 118) 1771 V 28, Protokoll der a.o. Kommission, ebendort.

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