Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.
480 Erika Weinzierl-Fischer sandt16). Zugleich teilte Joseph seiner Mutter mit, daß er die böhmischen Gubernialräte zur Rede gestellt habe, diese hätten ihm aber erklärt, „daß zu Abhelfung dieses Mangels alle Veranstaltungen bereits getroffen seyn, und hierzu weiter nichts als die Gutheißung der b.ö. Hof-Kanzley ermangle“. Der Vizekanzler, der der Meinung war, daß man damit die Schuld an der Teuerung auf die Hofkanzlei schieben wollte, erklärte daher erregt, daß das Gubernium über eine bevorstehende Teuerung und Hungersnot erst einmal — und zwar am 3. September 17) — berichtet habe18). Das Gubernium und die Prager Polizeikommission hätten eine rechtzeitige Mitteilung über die drohende Gefahr unterlassen. Die Hofkanzlei habe im übrigen auf diesen ersten Bericht sofort reagiert und schon am 7. September einen Plan für die Getreidezufuhr nach den „Prager Städten“ ausgearbeitet und das Gubernium zu allen möglichen Vorkehrungen „zu Steuerung des besorgenden Brodmangels“ aufgefordert19). Diese Episode sollte für den Verlauf des Kampfes gegen die Hungersnot in Böhmen typisch werden. Wie wir noch manchmal sehen werden20), ergaben sich trotz des sicherlich auch vorhandenen guten Willens der beteiligten Verwaltungsstellen immer wieder Fehlschläge und Leerläufe. Wirklich entscheidende Maßnahmen wurden meist erst nach dem persönlichen Eingreifen des Mitregenten getroffen, der unermüdlich an die Kaiserin appellierte und sie zu großzügigen Hilfsaktionen veranlaßte. Immer wieder mußten auch Egoismus und Gewinnsucht der einzelnen Dominien bekämpft werden und es kennzeichnet vielleicht am besten das mangelnde Verständnis für die Notwendigkeit gegenseitiger Hilfe, daß sich sogar die Kameralherr- sehaften gegen die Lieferung überschüssigen Getreides nach Prag wehrten 21) oder die Bewilligung höherer Getreidepreise für sich zu erlangen suchten 22) und erst von Wien aus eines Besseren belehrt werden mußten. i°) Nach dem damals geltenden Getreidepreis hätte ein 21 Lot schwerer Laib Brot 1 Kreuzer kosten sollen. Bei Übertragung des oben angeführten Brotpreises auf den Getreidepreis ergab sich statt des vorgeschriebenen Preises von 1 fl. 452/8 kr. für 1 Metzen Roggen ein Preis von 5 fl. 153/4 kr., also eine fast 400% ige Teuerung. u) Siehe oben S. 479. 18) 1770 IX 13, Kommission, Fasz. 1, Nr. 3. i°) 1770 IX 7, ebendort, Nr. 1. 20) Siehe unten S. 488 ff., 494, 501 usw. 21) Das Ansuchen der Staatsgüter um Ausnahme von Lieferungen wurde am 17. IX. 1770 folgendermaßen abgelehnt: „kann dise angetragene Erklärung Meiner Cameral-Herrschaften die Privat Dominia zu einer gleichen Sprache verleiten, und also der Getraidvorsehung der Stadt Prag hinderlich seyn.“ StR.- Prot. 1770/III/3349. 22) So beschwerte sich z. B. 1771 das Oberamt Sbirow über die niedrige Getreidepreisfestsetzung im Kreis Beraun durch den kaiserlichen Kommissär Kressel (siehe unten S. 487), worauf die Hofkanzlei dem Oberamt erwiderte, daß es „einen sehr widrigen Eindruck bey dem publico machen würde, soferne auf denen kayserlichen Herrschaften ein höherer Körner Preyß zum Vortheil deren herrschaftlichen Rendten Platz haben sollte“. 1771 III 28. Kommission, Fasz. 1, März, n. 20.