Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

BENNA, Anna Hedwig: Studien zum Kultusprotektorat Österreich-Ungarns in Albanien im Zeitalter des Imperialismus (1888–1918)

Studien zum Kultusprotektorat Österreich-Ungarns in Albanien 35 und eine Pflicht jedes Staates. Die weiteren Ausführungen des italieni­schen Außenministers ließen Pasetti darüber nicht im Zweifel, daß Italien entschlossen war, direkt mit der Türkei über den Schutz seiner Angehörigen geistlichen Standes zu verhandeln. Wohl mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Türkei gegenüber den Interventionen fremder Konsularvertreter lehnte Prinetti die Simultanintervention117) ab. Hinsicht­lich neu entstehender Ordensniederlassungen könnte Italien nach Prinettis Auffassung den Schutz übernehmen, ohne die erworbenen Rechte Öster­reich-Ungarns zu präjudizieren; die Abgrenzung einer spirituellen Inter­essensphäre wäre geeignet Konflikte zu vermeiden118). Dieser Plan Pri­nettis stieß bei Goluchowski auf stärkste Ablehnung119). Den Anregungen Calices, doch lieber die Verhandlungen mit Italien weiterzuführen und einen accord zu schließen 12°) folgte Goluchowski nicht, er entschied sich dafür, Pasetti in Rom erklären zu lassen, die Regierung in Wien könne über die bereits angebotenen Konzessionen nicht hinausgehen ohne ihr von allen Mächten anerkanntes Schutzrecht illusorisch zu machen, im übrigen er­warte man in Wien, die bundesfreundliche Gesinnung der italienischen Regierung werde jede Verletzung der in Frage kommenden Rechte Öster­reich-Ungarns zu verhindern wissen121). Der plötzliche Tod des italieni­schen Außenministers Prinetti122) und die dilatorische Behandlung dieser Frage von Seiten Österreich-Ungarns verhinderten den Abschluß eines Übereinkommens. Im Gegensatz zu Frankreich, das infolge seiner politi­schen Annäherung an Italien seit 1905 eher zu Konzessionen bereit war und den Schutz einzelner Kultusanstalten im Orient Italien vertraglich überließ 123), behauptete Österreich-Ungarn seine Schutzsphäre gegenüber den italienischen Aspirationen. Die Neuorientierung der österreichisch-ungarischen Balkanpolitik unter Ährenthal, die Verschlechterung der Beziehungen zu Rußland seit den Besprechungen in Buchlau, ließen Österreich-Ungarn am Weiterbestand der Türkei größtes Interesse gewinnen. Österreich-Ungarn begrüßte die auf Regeneration des Reiches gerichteten Bestrebungen der jungtürkischen Revolution 124). Allerdings warf die Einführung westlicher, konstitutioneller 117) Ebenda, Bericht Pasetti, Rom Q, 81 D, 1902 Dezember 2. 118) Ebenda, Bericht Pasetti, Rom, 81 E, 1902 Dezember 2, Weisung an Calice (Konstantinopel), 1902 Dezember 11. 119) Ebenda, Privatschreiben Goluchowskis an Pasetti (Rom Q), 1902 Dezember 20. 12°) Ebenda, Bericht Calice, Konstantinopel, 1 C, 1903 Jänner 3. 121) Ebenda, Weisung an Pasetti (Rom Q), 61, 1903 Jänner 21. 122) Ebenda, Bericht Pasetti, Rom Q, 13 C, 1903 Februar 10. Vgl. Claar, Europäische Gespräche 8, 437. ns) Vgl. pa XIV, 41. Liasse Albanien XLVIII/3, Weisung an Loewenthal (Durazzo), 1914 April 2. 124) Vgl. C. Helmreich, Die tiefsten Ursachen der Politik Berchtolds im Oktober 1912, Berliner Monatshefte 10 (1932), 224. Hant sch, Geschichte Österreichs 2, 513. 3*

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