Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

BENNA, Anna Hedwig: Studien zum Kultusprotektorat Österreich-Ungarns in Albanien im Zeitalter des Imperialismus (1888–1918)

14 Anna Hedwig Benna geschlossenen Verträgen den Bekennem des katholischen Glaubens ge­währt6). Im Gegensatz zu den mit Frankreich geschlossenen Kapitula­tionen fehlte in diesen Vertragsbestimmungen die Einschränkung auf Unter­tanen des Kaisers. Die diplomatischen Vertreter des Kaisers, vor allem die Konsularbehörden, denen kraft ihres Interventionsrechtes die Durchsetzung der aus dem Schutzrecht erfließenden Rechtsansprüche oblag, waren in der Lage, auch die religiösen Interessen der Katholiken türkischer Staats­angehörigkeit zu vertreten7). Die Rechtsstellung der Katholiken türkischer Staatsangehörigkeit unterschied sich grundsätzlich von der der Ortho­doxen: diese genossen die offizielle Anerkennung von Seiten des Staates, ihre Bischöfe waren Träger staatlicher Hoheitsrechte. Die Katholiken, zahlenmäßig verhältnismäßig gering, unter einem fremden geistlichen Oberhaupt, führten jahrhundertelang neben den Mohammedanern und Orthodoxen ein Rajadasein. Die unter dem Schutze der europäischen Mächte stehenden Ordensniederlassungen8), karitativen Einrichtungen und Schulen waren die Träger des kirchlichen Lebens, das vielfach in Folge äußerer Umstände die Formen des Kryptokatholizismus annehmen mußte. Der Niedergang der Machtstellung des türkischen Reiches in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spiegelte sich in den mit den europä­ischen Mächten geschlossenen Verträgen, im Dritten Pariser Frieden 1856 wurde der Schutz der Christen als gemeinschaftliches Recht allen christ­lichen Mächten übertragen9). Entscheidend für die Mächterivalitäten um die Ausübung des Schutzrechtes über die katholischen Ordensniederlassun- gen auf dem Boden der Türkei wurden die Bestimmungen des Art. 62 des Berliner Vertrages von 1878 10). Die Türkei anerkannte das Schutzrecht der diplomatischen und Konsularagenten der Signatarmächte hinsichtlich der Geistlichen, Pilger und Mönche, welche in der europäischen oder asiatischen Türkei reisten, der Niederlassungen und karitativen Anstalten sowohl an den Heiligen Stätten als auch anderswo. Die von Frankreich erworbenen Rechte wurden ausdrücklich reserviert, uind es ist dabei wohl verstanden, daß kein Versuch zur Änderung des status quo an den Heiligen Stätten gemacht werden darf. Begreiflicherweise boten die Stipulationen aufstre­benden Mächten wie Deutschland und Italien die Möglichkeit, indem sie sich dieser Rechte bedienten, sich politische und kulturelle Einflußsphären 6) Vgl. I p p e n, a. a. O., S. 300. 7) Vgl. Lammeyer, a. a. O., S. 66. R. Pin on, L’Europe et l’Empire Ottoman, Les aspects actuels de la question d’Orient (1913), S. 539, 549, 550. 8) Zum Wirken der Franziskanermission vgl. I. R up cic, Entstehung der Franziskanerpfarren in Bosnien und der Herzogewina und ihre Entwicklung bis zum Jahre 1878, Breslauer Studien zur historischen Theologie, hg. v. Seppelt, Maier, Koch, N. F. Bd. 1 (1937). 9) Vgl. Lammeyer, a. a. O., S. 52. Pin on, a. a. O., S. 550. m) Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, Jg. 1879, n. 43, S. 207—208. Vgl. Lammeyer, a. a. O., S. 95. Pin on, a. a. O., S. 551—553.

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