Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 6. (1953)
SANTIFALLER, Leo: Über die Urkunde für das Breslauer St. Vinzenz-Stift vom Jahre 1139–1149
10 Leo Santifaller Boleslaus IV. besessen hat, wissen wir nicht; der Text des Stückes enthält jedenfalls keine Siegelankündigung und ebenso fehlt ein etwa dahingehender Hinweis des Kopisten. Das älteste bis jetzt bekannt gewordene schlesische Herzogssiegels ist das Siegel des Herzogs Boleslaus I. (1163 bis 1201), also eines Neffen Boleslaus IV., an der sogenannten Leubuser Gründungsurkunde1). Was nun die inneren Merkmale betrifft, so fällt hinsichtlich der Teile und Formeln zunächst eine Zweiteilung 2) des Stückes auf. Beide Teile werden schon äußerlich durch die bereits erwähnte vergrößerte Schrift Notum sit omnibus am Beginn des zweiten Teiles gekennzeichnet bzw. von einander geschieden. Beide Teile werden besonders eingeleitet, der erste Teil durch eine Invokatio, der zweite Teil durch eine Publikatio; außerdem hat jeder der beiden Teile eine besondere Datierung, ist sprachlich-grammatisch selbständig und zeigt eine besondere Fassung. Der erste Teil ist objektiv gefaßt und bildet einschließlich der Datierung einen einzigen Satz. Der zweite Teil zerfällt zunächst in zwei Hälften; die erste Hälfte wird durch einen in subjektiver Form gehaltenen und mit ego eingeleiteten Satz gebildet, während die zweite Hälfte aus einer Reihe von objektiven Sätzen in Listenform besteht. Im einzelnen ist über das Formular folgendes zu sagen: der erste Teil beginnt mit einer Invokatio, darauf folgt die Datierung und dann schließt der eigentliche Hauptteil, die Dispositio, an, verbunden mit einer Art Interventions- und Konsensformel, consilio et ammonicione, sowie mit einer kurzen Pertinenzformel und abschließend mit einer durch quatinus eingeleiteten Gedingsformel. Die zweite Hälfte des Stückes beginnt mit einer kurzen Publikatio und geht dann sogleich mit quod über zur umfangreichen Dispositio; den Abschluß bilden die mit Acta sunt hec eingeleitete und mit einer Art Korroboratio bzw. Anathemformel verbundene Datierungsformel und die mit presentibus eingeleitete Zeugenformel. Der Rechtsinhalt betrifft Schenkungen an das Vinzenzstift durch den Bischof Robert von Breslau im ersten Teile und durch den Herzog Boleslaus und verschiedene weltliche und geistliche Große im zweiten Teil und als Ganzes zugleich die feierliche Bestätigung der ältesten Ausstattung des Klosters durch den Herzog. Bemerkenswert ist das mit der Schenkung Bischof Roberts verbundene Geding und die Sicherung durch M Vgl. Hanns Krupiék a, Die sogenannte Leubuser Stiftungsurkunde von 1175 (Zeitschrift für Geschichte Schlesiens 70, 1936), S. 84 ff.; Hanshugo Nehmiz, Untersuchungen über die Besiegelung der Schlesischen Herzogsurkunden im 13. Jahrhundert (Forschungen zum Schlesischen Urkundenbuch 1, 1939), S. Iff. 2) Wenn im folgenden wiederholt die Rede ist vom ersten und zweiten Teil bzw. Stück, so ist damit rein äußerlich der erste bis in omnibus gerant reichende bzw. der zweite mit Notum sit beginnende und bis zum Schlüsse reichende Teil gemeint; ein Urteil über den diplomatischen Charakter der Urkunde soll damit nicht ausgesprochen sein.